Rede zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz


 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation in der Pflege ist bitterernst, und mit dem sogenannten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat die Große Koalition versprochen, die Situation in der Pflege zu verbessern. Da rufen wir Grünen Ihnen zu: Endlich! Ja, das ist gut; das ist überfällig. Handeln lohnt sich. – Doch der Versuch, mit dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, diese Situation wirklich zu verbessern, greift zu kurz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt so viele offene Fragen zu diesem Gesetzentwurf, es gibt so viele Risiken in diesem Gesetzentwurf, die dringend in der Beratung geklärt werden müssen. Vieles ist nicht zu Ende gedacht, und einige Vorschläge enthalten unserer Auffassung nach enorme Risiken. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen festmachen.

Erstens: Thema Personaluntergrenzen. Die Auswahl der Fachabteilungen, die jetzt – im Gegensatz zu dem im Koalitionsvertrag Vereinbarten – vorgenommen wurde, enthält keine fachlich nachvollziehbaren Kriterien. Bei der Intensivmedizin stimme ich Ihnen zu; sie gehört hinein. Aber bei den anderen Fachabteilungen ist gar nicht erkenntlich, warum sie in diese Auswahl der Fachabteilungen aufgenommen wurden. Es besteht die Gefahr, dass diese Untergrenzen zum Standard werden. Und durch die Reduzierung auf bestimmte Fachbereiche besteht sogar noch die Gefahr, dass innerhalb eines Krankenhauses Fachpersonal aus anderen Abteilungen in diese ausgewählten Abteilungen abgezogen wird. Dann verschärft sich die Personalsituation in den anderen Abteilungen noch. Das kann doch nicht das sein, was wir wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ein Personalbemessungsinstrument, meine Damen und Herren, für alle Fachabteilungen im Krankenhaus. Und: Der Personalbedarf muss sich am tatsächlichen Pflegebedarf ausrichten. Da muss in diesem Gesetzentwurf dringend nachgebessert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir halten es für richtig, dass jede zusätzliche und jede aufgestockte Pflegestelle im Krankenhaus finanziert wird; aber wir müssen sicherstellen – und das passiert bisher nicht -, dass diese zusätzlichen Stellen, diese zusätzlichen Hände tatsächlich am Bett der Patienten landen, und nicht prekäre Situationen auf anderen Stationen verschärft werden. Da muss ebenfalls nachgebessert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir reden über die Herauslösung der Pflegepersonalkosten aus den jetzigen Fallpauschalen, also dem DRG-System. Wir halten das für richtig, weil es ein systemischer Ansatz ist. Es ist positiv, Pflegepersonal und Pflegeleistungen zu stärken und zu finanzieren. Aber wenn man das tut, meine Damen und Herren, muss man auch dafür sorgen, dass eine Zweckentfremdung dieser Mittel ausgeschlossen ist. Das fehlt bisher in diesem Gesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Viertens. Es ist auch gut, dass Sie sich der Verbesserung der praktischen Ausbildung im Krankenhaus widmen und Auszubildende im ersten Jahr der Ausbildung nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Ich frage Sie aber: Wäre es nicht sinnvoll, auch für Auszubildende im zweiten Ausbildungsjahr zumindest anteilige Loslösung vom Personalschlüssel durchzuführen? Denn auch im zweiten Ausbildungsjahr gibt es natürlich noch große Bedarfe, die eigenen Kenntnisse zu verbessern.

Und auch ich stelle die große Frage, die schon angesprochen wurde: Warum, um Himmels Willen, gilt diese Regelung nicht auch für die Ausbildung in der Altenpflege?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Nach der Degradierung der Altenpflege in der Ausbildungsreform machen Sie die Altenpflege erneut zum Stiefkind der Großen Koalition. Sie, Herr Minister, haben vorhin viel Empathie für diesen Bereich gezeigt. Deshalb frage ich Sie: Warum erfolgt die Anrechnung von Auszubildenden auf den Personalschlüssel in der Altenpflege? Wir wollen doch die Ausbildung gerade interessanter und attraktiver machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Fünfter Punkt. Pflegeeinrichtungen – auch in der Altenpflege – können auf Antrag zusätzliche Stellen refinanziert bekommen. Aber der Schlüssel, den Sie vorschlagen, berechnet sich nach der Zahl der Bewohner und richtet sich nicht nach dem Pflegebedarf. Letztendlich ist doch die Personalmenge, die wir an den Betten, die wir bei den Patienten brauchen, die wir zur Unterstützung der Angehörigen brauchen, vom Pflegebedarf abhängig und nicht von der einfachen Zahl der zu Pflegenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Da muss nach meiner Ansicht nachgebessert werden, denn der gewaltige Druck auf das Personal, der hier entsteht, ist nicht auszuhalten.

Wir werden eine weitere Verwerfung haben, die ich für ganz dramatisch halte. Drei Viertel aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause gepflegt. Wenn wir durch die Finanzierung allein des stationären Bereichs dafür sorgen, das Personal aus dem ambulanten in den stationären Bereich abgezogen wird, dann wird die ambulante Pflege, die sowieso schon unter einem enormen Druck steht, weiter ausbluten und am Ende zusammenbrechen. Wir können doch die Pflegebedürftigen, wir können doch die Menschen und ihre Angehörigen nicht alleinlassen; deswegen muss hierbei nachgebessert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ein Punkt, bei dem mir, ehrlich gesagt, inzwischen jedes Verständnis fehlt, wenn wir über die Altenpflege reden, ist das Thema der Pflegehilfskräfte. Meine Damen und Herren, heute brauchen Heime aufgrund des Fachkräftemangels ungefähr 5,5 Monate, um Pflegefachkraftstelle zu besetzen. Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass der Arbeitgeber, wenn eine Stelle nicht besetzt werden kann, bereits nach drei Monaten eine Pflegehilfskraft einstellen kann. Ist es das, was Sie sich unter Attraktivität des Altenpflegeberufes vorstellen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann mir das nicht vorstellen. Sie setzen hier erneut einen Hebel an, um die Fachlichkeit in der Altenpflege abzuwerten. Meine Damen und Herren, pflegen kann eben nicht jeder und jede. Vielmehr man braucht man eine fundierte Ausbildung, die gerade in der Altenpflege ganzheitlich menschenorientiert ist. Das sollten wir nicht kaputtmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deswegen fordere ich Sie auf – wir haben ja jetzt dieses Gesetzgebungsverfahren, können ganz offen über alles diskutieren -: Stopfen Sie diese Löcher! Wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung über dieses Gesetz. Wir brauchen aber auch ein Gesamtkonzept. Wir brauchen echte Sofortprogramme für mehr Personal. Wir müssen Anreize setzen, damit Menschen diese Berufe tatsächlich ergreifen. Und wir brauchen spürbar bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung – und zwar sofort. Wir haben nicht mehr viel Zeit, in diesem Bereich Personal zu gewinnen, um zu erreichen, was die Menschen in diesem Land verdient haben, nämlich bestmögliche Pflege.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)