Auf in ein nächstes neues Leben: Mein Abschied aus der Berufspolitik:


Es ist jetzt 46 Jahre her, dass ich zusammen mit den Grünen der ersten Stunde die Alternative Liste Berlin gegründet habe– ich hatte die Mitgliedsnummer 4. 1983 wurde ich im Alter von 26 Jahren die damals jüngste Fraktionsvorsitzende in einem deutschen Parlament, in Westberlin. Und es ist 25 Jahre her, dass ich im schönen Main-Taunus-Kreis wieder in die deutsche Politik einstieg, nachdem ich über zwölf Jahre mit meiner Familie in Afrika gelebt und in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet hatte. Zwanzig Jahre ist es her, dass ich zur grünen Landesvorsitzenden in Hessen gewählt wurde. Zehn Jahre war ich im Hessischen Landtag tätig. Und seit 2013 sitze ich im Deutschen Bundestag. Soweit die Zahlen. Am Ende dieser Legislatur ist es nun aber genug – jedenfalls mit der Berufspolitik. Ich werde für die nächste Bundestagswahl nicht mehr kandidieren. 

Noch ist es nicht Zeit, abschließend Bilanz zu ziehen, denn ich habe in den verbleibenden Monaten noch einiges vor. Als Teil der so genannten Babyboomer-Generation habe ich für die Gesellschaft – ja, und auch für mich selbst – die Verantwortung, dass wir alle gut älter werden können, ohne die jüngeren Generationen zu überlasten. In meiner Zeit als Berliner Abgeordnete bin ich auch einmal mit einer kleinen verkrüppelten Fichte ans Rednerpult gegangen, um auf das Waldsterben aufmerksam zu machen. Doch im Zentrum meiner Arbeit standen nicht die grünen Jahrhundertthemen Umwelt und Klima, sondern immer Gesundheit und Pflege, die manchen als „Nebenwidersprüche“ mit weniger dramatischen Entwicklungen galten. Als Mitglied der Demografie-Enquete-Kommission Hessen habe ich schon 2007 die enormen Herausforderungen des demografischen Wandels für die Gesellschaft mit aufgeschrieben. Und es gehört sicher zu den negativen Erfahrungen meines politischen Lebens, wie schwer sich unser Land in Bund, Ländern und Kommunen mit kritischen Erkenntnissen tut, aber auch mit den Reformen, die zwingend daraus folgen.

Weder die Alterung der Gesellschaft und eine stetig steigende Zahl von Menschen, die auf professionelle Pflege angewiesen sind, noch der Fachkräftemangel sind wirklich überraschende Entwicklungen. Aber verkrustete Strukturen im Gesundheitswesen werden besonders in Deutschland mit allem Mitteln verteidigt: Bevölkerungsorientierte Versorgungund Zusammenarbeit der Gesundheitsprofessionen – hier stehen wir überall erst am Anfang. Als Krankenschwester des Abschlussjahrgangs 1979, also in der Zeit der WHO-Erklärung von Alma-Ata zur Gesundheitsförderung, habe ichdie Bedeutung von Gesundheitspolitik für die Gesellschaft begriffen. Deshalb habe ich nicht Medizin, sondern Kommunikationswissenschaften und Gesundheitsmanagement studiert, um an Strategien, anfangs zu HIV/AIDS,mitzuwirken. 

Als ich nach Deutschland zurückkam, war ich entsetzt, wie rückständig das Gesundheitswesen hier im internationalen Vergleich war (und noch ist). Und in den östlichen Bundesländern wurden nach der Wende sogar noch international bewährte Strukturen wie die Polikliniken und die Gemeindepflege zerstört. Heute versuchen wir mühsam, medizinische Versorgungszentren und Community Health Nurses, wie in den meisten modernen Gesundheitswesen üblich, wieder einzuführen.

Ich habe Politik immer als Arbeit für das Gemeinwesen verstanden. Deshalb liegt mir die Zukunft der Pflegeberufebesonders am Herzen. Buchstäblich jede Familie hat heute in der einen oder anderen Form mit Pflege und Sorgearbeit zu tun. Kaum ein anderer Fachberuf verlangt in solchem Ausmaß soziale, medizinische und pflegerische Fähigkeiten, um Individuen, Patientengruppen und die Bevölkerung insgesamt zu unterstützen. Leider wird dies in Deutschland immer noch von zu wenigen erkannt bzw. von einigen Akteuren aktiv verhindert. Das Niveau der Fachpflege in der deutschen Gesundheitsversorgung auf internationales Niveau zu bringen, wird für mich auch in Zukunft Antrieb meines Engagements sein. 

Glücklicherweise ist in den letzten Jahren einiges erreicht worden und ich konnte etwas dazu beitragen: Dazu gehört der Stellenwert der Pflege im aktuellen Koalitionsvertrag, an dem ich aktiv mitarbeiten durfte. Und dazu gehört die Unterstützung der Fachpflege aus dem Bundeshaushalt für dengemeinsamen Bundesausschuss im Gesundheitswesen. Die besondere Rolle pflegender Angehöriger oder Freunde konnten wir im Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz stärken, das Familienpflegezeitgesetz ist in Arbeit. Wir haben das Pflegestudium erleichtert, denn auch bei der Akademisierung sind wir weit hinten in Europa. Wir werden die Assistenzausbildung endlich bundeseinheitlich gestalten, damit diese Pflegekräfte problemlos das Bundesland wechselnkönnen. Und wir werden mit dem Pflegekompetenzgesetz endlich die Grundlage für den Anschluss an internationale Berufsbilder und eigenständige Heilkunde bringen. Anders werden wir angesichts des Fachkräftemangels in einer älter werdenden Gesellschaft gute Versorgung nicht sicherstellen können. Meinen Beitrag zur Stärkung der Fachpflege in Selbstverständnis, Selbstbewusstsein und Wahrnehmbarkeit durch Selbstorganisation werde ich auch nach meiner Abgeordnetenzeit fortsetzen. 

Aber ich habe noch andere, internationale Themen, die mich nicht loslassen. Tief geprägt hat mich der Völkermord in Ruanda 1994, wo ich damals mit Mann und Kind lebte und arbeitete. Weil Drohungen nicht ernst genommen oder sogar die späteren Mörder unbeirrt gestützt wurden, wurden auch Freunde und Kollegen ermordet. Bis heute beschäftigt mich gerade als Deutsche der Nachkriegsgeneration die Frage, wie es in Ruanda unter den Augen der Weltöffentlichkeit zu diesem Drama kommen konnte, aber auch wie seitdem dem Morden in so vielen Ländern der Welt Einhalt geboten werden könnte, wie die Weltgemeinschaft dauerhaft Frieden schaffen kann. Und das Thema Frieden beginnt mit den universellen Menschenrechten, mit der globalen Verantwortung für Menschen und ihre Freiheit und Wohlergehen. Die Vereinten Nationen sind nicht umsonst gleich 1945 gegründet worden – auch deshalb ist der Rückfall in Nationalismen zu verhindern. Auch hier werde ich weiter aktiv bleiben.

Was macht mir heute die meisten Sorgen? Dass auch in Europa und Deutschland der gesellschaftliche Konsens, für ein besseres Leben für alle zu sorgen, schwindet. Die globalen Herausforderungen des demografischen Wandels, der zunehmende Rassismus, die Verleugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, der Aufstieg von diktatorischen Großmächten, die Zersplitterung der demokratischen Staaten, die wachsende soziale Ungerechtigkeit in der Welt, aber auch hier bei uns- all das beschäftigt mich weiter. Und hoffentlich nicht nur mich. 

Ich werde mich weiter ehrenamtlich engagieren – ich bin nur noch nicht entschieden, wo. Nach fast 25 Jahren Berufspolitik gehe ich also in den Unruhestand. Wir Grünen und unser Land brauchen jetzt junge Politikerinnen und Politiker, die die Welt von heute mit ihren Augen sehen, die neue Wege gehen möchten, hoffentlich auch bessere Wege finden als die vorherigen Generationen. Sie müssen in Zeiten geopolitischer Veränderungen gestalten: für mehr soziale Gerechtigkeit, Frieden, Nachhaltigkeit, gutes Klima und gesunde Umwelt. Den jüngeren Generationen gehören die Zügel in die Hand – und Zukunft wird bekanntlich aus Mut gemacht. 

Auch im Main-Taunus-Kreis kann die Zukunft beginnen. Ich stehe voll hinter der Kandidatur von Anna Lührmann als Direktkandidatin im Main-Taunus-Kreis. Ich habe sie bereits unterstützt, als sie mit 19 Jahren zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, und wurde nicht enttäuscht. Und diesmal bin ich mir noch sicherer, dass Anna nicht nur den Wahlkreis gut vertreten, sondern beste Grüne Politik weiter gestalten wird.

Artikel kommentieren

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.