Masernschutzgesetz: Bundesregierung verpasst Chance, Maßnahmen zur Steigerung aller Impfquoten festzulegen 14. November 201921. März 2021 Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Impfungen gegen Infektionskrankheiten sind nicht nur Selbstschutz, sondern sie sind gelebte gesellschaftliche Solidarität (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit Säuglingen, Kleinkindern und mit Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können und für die jede Infektion lebensbedrohlich sein kann. Deswegen brauchen wir die Ständige Impfkommission, die uns sagt, welche Impfungen empfohlen werden, und diesen Empfehlungen sollten wir auch folgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Das gilt ganz besonders für Erkrankungen – in diesem Punkt sind wir gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation unterwegs -, die nur von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Hier können wir durch einen umfassenden Impfschutz tatsächlich dafür sorgen, dass diese Krankheiten ausgerottet werden. Dafür sollten wir alle zusammenarbeiten. Das gilt nicht nur für Deutschland. Wir können Masern auch weltweit ausrotten, wenn wir alle zusammenarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Dr. Andrew Ullmann (FDP)) Impfkampagnen sind erfolgreich, wenn die gesamte Bevölkerung gut über Sinn und Zweck informiert und aufgeklärt wird, Impfangebote einfach und sicher für Menschen erreichbar sind und regionale Besonderheiten und bestimmte Bevölkerungsgruppen konkret adressiert werden. Hier war es tatsächlich kontraproduktiv, dass in den meisten Ländern das Personal der Gesundheitsämter reduziert worden ist. In den letzten 15 Jahren ist ein Drittel der Stellen in den Gesundheitsämtern abgebaut worden. Und da wundern wir uns, dass die Impfquoten gesunken sind. Das ist einer der Hauptgründe dafür. Wir brauchen dringend eine umfassende Impfstrategie, und zwar schnell, so wie es zum Beispiel das Land Hessen gerade vormacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Im Antrag der Grünen-Fraktion und übrigens auch im Antrag der FDP – danke, Professor Ullmann; wir sind da ganz nah beieinander – wird eine solche umfassende Strategie gefordert, die die Beratung und Aufklärung sowohl bestimmter besonderer Bevölkerungsgruppen als auch der Gesamtbevölkerung, einen digitalen Impfpass mit Erinnerungsfunktion, ein Einladungswesen für Erwachsene und die Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens umfasst. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Stärkung der öffentlichen Institutionen, die für den Infektionsschutz zuständig sind, und das sind das Robert-Koch-Institut und die Ständige Impfkommission, die aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse Impfempfehlungen abgeben. Deswegen begrüße ich übrigens ausdrücklich, dass durch das Gesetz, das die Bundesregierung vorlegt, die Datengrundlage des Robert-Koch-Instituts verbessert wird. Ich hoffe, dass das zur Folge hat, dass in Zukunft die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Ständigen Impfkommission von der Politik besser verfolgt werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Andrew Ullmann (FDP)) Wir begrüßen auch, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gestärkt wird, obwohl da noch viele Fragen offen sind, dass endlich allen Ärzten das Impfen ermöglicht wird. Das ist längst überfällig genauso wie die Tatsache, dass die Krankenkassen jetzt ihre Versicherten über fällige Schutzimpfungen informieren dürfen. Meine Damen und Herren, das hätte alles längst passieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir gelebte Solidarität ernst nehmen, wenn wir wollen, dass alle Kinder, auch die, die nicht geimpft werden können und dürfen, Zugang zu frühkindlicher Bildung haben, wenn wir die inklusive Gesellschaft wirklich wollen, dann sollten wir dem folgen, wofür wir uns in unserer Fraktion nach sehr gründlicher Diskussion ausgesprochen haben: für eine Pflicht zum Nachweis eines Masernschutzes in den besagten Gemeinschaftseinrichtungen. Natürlich gilt das auch für das Personal und ebenso für das Personal in Gesundheitseinrichtungen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Rudolf Henke (CDU/CSU) und Dr. Andrew Ullmann (FDP)) Ein Problem, das wir mit dem Gesetzentwurf nach wie vor haben, ist, dass er das Hauptproblem nicht adressiert, nämlich die großen Impflücken bei der Altersgruppe „20 bis 50 Jahre“. Hier ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung geimpft, und das führt dazu, dass Familienfeiern eine tatsächliche Gefahrensituation darstellen. Das müssen wir klarstellen. Wir können leider nicht erkennen, dass die Bundesregierung hier eine wirkliche Strategie für ein systematisches Schließen dieser Impflücken vorsieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rudolf Henke (CDU/CSU): Aber an vielen Stellen ist das berücksichtigt!) Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten. Meine Damen und Herren, Infektionskrankheiten sind vermeidbar, wenn Impfstoffe vorhanden sind. Uns sind Selbstschutz und gelebte Solidarität mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft wichtig. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein erster Schritt, um dem gerecht zu werden. Aber zu viele Fragen sind noch offen. Wir sind gerne bereit, in Zukunft gemeinsam für einen sinnvollen, effektiven Infektionsschutz zusammenzuarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Ende vielleicht noch etwas Nachdenkliches sagen. Ich habe lange im Bereich der Prävention von Infektionskrankheiten gearbeitet. Ich habe miterlebt, welche Hysterie in Deutschland umging, als Aids auf die Tagesordnung kam. Ich möchte ausdrücklich Rita Süssmuth dafür danken, dass sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir heute so eine bunte, offene Gesellschaft haben und Menschen, die diese Krankheit haben, nicht diskriminiert werden oder gar, wie damals vorgesehen, interniert werden. Wir wissen, dass Infektionskrankheiten dazu instrumentalisiert werden, Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. „Brunnenvergifter“ als Begriff ist noch heute ein Teil antijüdischer Verschwörungstheorien. Deswegen wundert es mich, dass die AfD es sich in ihrem Antrag erlaubt, einen besonderen Handlungsbedarf im Hinblick auf geflüchtete Menschen zu formulieren und sich auf RKI-Empfehlungen aus dem Jahre 2015 zu berufen. Natürlich war es notwendig, dass das RKI im Jahre 2015 Richtlinien für die Impfung aller Menschen, die hierhergekommen sind, ausgegeben hat. Seit 2015, seit diesen RKI-Richtlinien, sind die Gesundheitsämter vor Ort dabei, die Geflüchteten, die zu uns kommen, aufzuklären und zu impfen. Ich möchte an dieser Stelle einen herzlichen Dank an alle Mitarbeiter im öffentlichen Gesundheitsdienst, an die Übersetzerinnen und Übersetzer, an die vielen, vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich für einen Impfschutz in diesen Einrichtungen einsetzen, danken. Sie schaffen das – Tag für Tag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin, die Zeit ist zu Ende. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerade beim Thema Infektionsschutz geht es darum, dass wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenhalten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gelebte gesellschaftliche Solidarität. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehen Sie hier den Video-Mitschnitt des Parlamentsfernsehens: Erfahren Sie hier mehr zu unserem Antrag.