Wirksame Maßnahmen für eine verlässliche und sichere Arzneimittelversorgung 9. Januar 20204. September 2024 Kordula Schulz-Asche/Maria Klein-Schmeink/Dr. Kirsten Kappert-Gonther/Dr. Bettina Hoffmann Mitglieder des Deutschen Bundestages: Gerade ältere, chronisch oder psychisch kranke Patientinnen und Patienten empfinden es als sehr belastend und verunsichernd, wenn notwendige Medikamente in der Apotheke nicht lieferbar sind. Sie sind seit Jahren auf ein bestimmtes Präparat eingestellt und müssen dieses nun kurzfristig absetzen oder werden auf ein anderes Mittel oder eine andere Dosierung umgestellt. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Sicherheit unseres Gesundheitswesens wird in diesen Momenten auf eine harte Probe gestellt. Im Zusammenhang mit Lieferengpässen wird zwar immer wieder davon gesprochen, dass die Arzneimittel-Versorgung in Deutschland grundsätzlich sichergestellt sei. Es ist auch korrekt, dass nicht jeder Lieferengpass gleich ein Versorgungsengpass ist. Doch um die Arzneimittelversorgung flächendeckend und nachhaltig sicherzustellen, müssen auch Lieferengpässe, die per Definition nicht als Versorgungsengpässe gelten, als relevant für die Patientinnen und Patienten erachtet werden. Auch bei nicht lieferbaren Darreichungsformen sind daher wirksame Maßnahmen nötig. Solche Engpässe wiegen schwer für chronisch kranke Patientinnen und Patienten. Die Betroffenen sind häufig auf eine ganz bestimmte Darreichung angewiesen, weil sie nur diese anwenden oder vertragen können. Dann wird auch ein für die Versorgung scheinbar nicht relevanter Lieferengpass zu einem relevanten existenziellen Problem für eine Patientin oder einen Patienten. Der Problematik liegen sehr unterschiedliche und zum Teil komplexe Ursachen zugrunde. Lieferengpässe sind kein allein deutsches Phänomen, sondern lassen sich weltweit beobachten. Globale Lieferketten, Monopolstrukturen, also Produktionsverlagerungen auf wenige Standorte, Rohstoffengpässe in der Produktion und auch Qualitätsmängel können genauso ursächlich sein wie Marktaustritte oder Produktionseinstellungen als Folge gezielter Unternehmensstrategien. Um den vielschichtigen Ursachen begegnen zu können, brauchen wir ein ganzes Maßnahmenbündel, welches gezielt bei den jeweiligen Problemen ansetzt. Genauso wichtig, wie das Ergründen der unterschiedlichen Ursachen und das Finden geeigneter Maßnahmen, um Engpässe zukünftig zu vermeiden, ist die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Sie fängt zwischen den unterschiedlichen Gesundheitsakteuren im deutschen Gesundheitswesen an und sollte – über die nationalen Grenzen hinweg – auch innereuropäisch fortgeführt werden. Formate wie der beim BfArM angesiedelte „Jour Fixe Lieferengpässe“ oder geplante Diskussionsformate während der deutschen EURatspräsidentschaft 2020 sind deshalb zu befürworten. In der politischen Diskussion werden bereits einige Maßnahmen gegen Lieferengpässe beraten. Einige Vorschläge setzen sich mit einer Änderung des Rabattvertragssystems – bis hin zu verpflichtenden Mehrfachvergaben – auseinander. Wir sind der Meinung, dass das derzeitige Rabattvertragssystem ein effektives Mittel ist, um im Interesse der Versicherten eine wirtschaftliche Versorgung mit Arzneimitteln zu erreichen. Darüber hinaus sind die Rabattverträge kein geeigneter Ansatzpunkt, um die Engpass-Problematik zu lösen. Aus diesem Grund setzt unser Autorenpapier andere Schwerpunkte. Mehr Transparenz durch Register und Meldepflicht: Eine hohe Transparenz über den Umfang und die Ursachen von Lieferengpässen ist die Voraussetzung für die Steuerung weitergehender Maßnahmen. Deshalb setzen wir vor allem auf mehr Transparenz im Liefergeschehen. Die Lieferketten und -engpässe müssen besser und regelmäßig nachvollzogen werden. Wir wollen daher eine Meldepflicht bei allen Medikamenten-Engpässen und nicht nur bei versorgungsrelevanten Medikamenten. Dafür kann der pharmazeutische Großhandel die entscheidende Rolle spielen, da dieser schon frühzeitig in seinen Systemen auf etwaige Lieferschwierigkeiten aufmerksam wird. Im Einzelnen schlagen wir vor: In der Verantwortung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird ein zentrales Register aufgebaut. Durch dieses Register können die Behörden bei drohenden Lieferengpässen mittels weiterer Maßnahmen frühzeitig gegensteuern. Es wird eine Meldepflicht geschaffen. Der pharmazeutische Großhändler meldet in das zentrale Register Informationen über die Verfügbarkeit der Arzneimittel auf dem deutschen Markt. In standardisierter Form werden so regelmäßig Daten zur Verfügbarkeit der Arzneimittel, der Packungsgrößen und Darreichungsformen übermittelt. Der pharmazeutische Großhändler meldet Daten zu Lieferschwierigkeiten oder Nicht-Lieferbarkeit seitens der Hersteller sowie Daten zu Veränderungen der Vorratsbestände des Großhandels an das Register. Das Monitoring und die Meldung der Daten durch den pharmazeutischen Großhandel werden vergütet. Weiterführende Maßnahmen: Die Handlungskompetenz des BfArM im Falle eines Lieferengpasses muss gestärkt werden. Vorgaben zur Überprüfung der Einhaltung bereits bestehender Bevorratungsverpflichtungen bei Großhandel und Apotheken sowie eine Ausweitung der Bevorratung oder eine Exportbeschränkung für Großhandel und Apotheken mit Großhandelserlaubnis können vom BfArM erlassen werden. Bei produktions- oder betriebsbedingter Nicht-Lieferfähigkeit müssen die pharmazeutischen Unternehmer wirksam sanktioniert werden. Als Ausgleich für den Mehraufwand der Kassen für das Durchsetzen von Sanktionen oder den Mehraufwand der Apotheken, wenn Alternativen für nicht lieferfähige Arzneimittel gesucht werden müssen, können Aufwandsentschädigungen aus den Sanktionsbeträgen gezahlt werden. Europäisch denken – Strategie gegen Lieferengpässe ist notwendig: Das Problem der Lieferengpässe gehört auch auf die europäische Ebene: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 soll dazu genutzt werden, die Themenkomplexe Arzneimittel-Lieferengpässe und Arzneimittel-Produktion in der EU zu diskutieren und europäische Maßnahmen zu beschließen, mit dem Ziel, die Arzneimittel-Produktionen wieder zu stärken und die Versorgung – insbesondere mit lebensnotwendigen Arzneimitteln – so auch langfristig sicherzustellen. Es müssen Anreize entwickelt werden, um vor allem Wirkstoff-Produktionen wieder vermehrt in der EU anzusiedeln. Dabei soll ein Schwerpunkt auf die für Pharmaunternehmen weniger lukrative Herstellung von Impfstoffen und Antibiotika, insbesondere wegen ihrer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, gelegt werden. Neue und innovative Vergütungsmodelle, wie zum Beispiel globale Forschungsfonds, die das Risiko für Arzneimittel-Hersteller absenken und dadurch zur Forschung animieren oder Pay-for-Performance-Modelle, nicht nur für den Indikationsbereich der Seltenen Erkrankungen, müssen diskutiert werden.