Nutzenbewertung von Arzneimittel 20. Februar 201421. März 2021 Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Wort hat Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2011 gelang es in Deutschland endlich, zumindest teilweise ein hehres Ziel zu erreichen: Für neu zugelassene Medikamente und bereits auf dem Markt befindliche patentierte Arzneimittel wurde eine Nutzenbewertung eingeführt. Ich betone: Bei der Nutzenbewertung geht es um den Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Das war längst überfällig. Frau Mattheis, ich möchte daran erinnern: Die SPD hat das damals genauso gesehen. Wir beide haben ursprünglich mehr gefordert, als dann tatsächlich beschlossen wurde. Das war längst überfällig; denn laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft haben viele der bei uns zugelassenen Arzneimittel keinen Nutzen bzw. keinen Zusatznutzen für Patientinnen und Patienten. Umso erstaunlicher ist es nun, dass eine der ersten Maßnahmen der Großen Koalition ist, die Bewertung des Nutzens von Medikamenten im sogenannten Bestandsmarkt abzuschaffen. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Bei allem Verständnis für die Interessen der Pharmaindustrie: An erster Stelle bzw. im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik müssen immer die Interessen der Patienten stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist bei CDU/CSU und SPD offensichtlich nicht der Fall. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist das erste Armutszeugnis Ihrer Gesundheitspolitik. Dass wir damit hinter die europäischen Standards zurückfallen, ist ein zweites Armutszeugnis. Ein drittes Armutszeugnis für die Gesundheitspolitik der Großen Koalition konnte gerade noch verhindert werden. Wir erinnern uns gut, dass Sie im Dezember versucht haben, die jetzt vorliegende Gesetzesänderung im Schnellverfahren ohne Anhörung durchzuziehen. (Hilde Mattheis [SPD]: Ach, das ist ja nun nicht wahr! – Gegenruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, das ist wohl war!) Wäre das so geschehen, Frau Mattheis, dann hätten Sie durch die vorgesehene Einbeziehung von Generika in den Herstellerrabatt und das Preismoratorium einer ganzen Branche der Pharmaindustrie schweren Schaden zugefügt. Das ist der Fall gewesen. Sie wollten diese Anhörung, die jetzt stattgefunden hat, nicht. Unter Ihren Maßnahmen hätte der Generikamarkt schwer gelitten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir freuen uns, dass Sie das eingesehen haben und bereit sind, mit einer Änderung diesen schweren Fehler zu korrigieren. Die Regierungskoalition hat sich bei diesem Gesetzentwurf selbst unter extremen Zeitdruck gesetzt. Das zeigt sich nicht nur bei den Generika. Das zeigt sich auch daran, dass die Anhörung, die vor einer Woche stattgefunden hat, von Ihnen offensichtlich noch nicht umfassend ausgewertet wurde. Diejenigen, die bei der bestehenden Regelung zur Bestandsmarktbewertung zu Recht rechtliche Umsetzungsprobleme benannt haben, zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, der Verbraucherzentrale Bundesverband, das IQWiG sowie die Einzelsachverständigen Professor Wille und Professorin Niebuhr, haben Änderungsvorschläge gemacht, die wir Grünen für sehr sinnvoll halten und daher in unseren Entschließungsantrag aufgenommen haben. Dabei geht es uns erstens darum, eine Nutzenbewertung für alle patentgeschützten Medikamente mit neuem Anwendungsbereich bzw. neuer Anwendungsform durchzuführen. Lassen Sie mich anmerken, dass seitens der Koalition gestern im Ausschuss angekündigt wurde, dass auch auf Ihrer Seite Änderungsbedarf gesehen wird. Das zeigt aber auch, dass Sie die Anhörung bisher tatsächlich kaum ausgewertet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dadurch, dass Sie diese Änderung nicht jetzt vornehmen, sondern wieder verschieben, schaffen Sie neue Ungerechtigkeiten. Auch das zeigt, wie wenig Gedanken Sie sich gemacht haben. Wir müssen in Ruhe entscheiden. Hier ist nicht mit Schnellschüssen zu arbeiten. Das zeigt, wie wichtig gerade bei einer Großen Koalition eine Opposition ist. Wenn man so eine satte Mehrheit hat, dann gehen einem offensichtlich manchmal die Pferde durch, und es kommt zu Schnellschüssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zweitens – auch das steht in unserem Entschließungsantrag – halten wir die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts in den Fällen des Wettbewerbsaufrufs für die Vergleichbarkeit und bei biotechnologischen Medikamenten weiter für notwendig. Drittens fordern wir eine gesetzliche Verpflichtung der Hersteller zur Herausgabe von Studienberichten, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss oder das IQWiG anfragt. Viertens – auch das gehört dazu; das ist schon erwähnt worden – fordern wir eine verpflichtende Registrierung und Veröffentlichung der Ergebnisse aller Arzneimittelstudien, auch derjenigen, die wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgebrochen wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Dadurch können wir hinsichtlich der Nutzenbewertung Patientensicherheit herstellen. Denn sowohl bei der Nutzenbewertung von Medikamenten als auch bei der Information über Forschungsergebnisse geht es im Wesentlichen um Transparenz. Arzneimittelstudien dürfen nicht in Schubladen verschwinden, sondern müssen veröffentlicht werden, um auf einer soliden Basis Einschätzungen zum Nutzen von Wirkstoffen gewinnen und überflüssige Studien vermeiden zu können. Eventuell wird es weitere Nachbesserungen durch die Große Koalition geben. In der vorliegenden Form können wir dem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin.