Sterbebegleitung – Selbstbestimmung und Solidarität vertrauter Menschen auch am Lebensende 13. November 201421. März 2021 Demokratische Gesellschaften zeichnen sich durch die Freiheit des Individuums und sein umfassendes Recht auf Selbstbestimmung aus. Auch wenn Menschen frei entscheiden können, wie sie leben möchten, bleiben sie dennoch auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen; denn niemand kann für sich allein leben. Dies gilt für das gesamte Leben und besonders für das menschenwürdige Ende des Lebens und beim Sterben. Keine Religionsgemeinschaft, keine Ideologie, kein Staat hat das Recht, diese Selbstbestimmung einzuschränken. Die Zeiten, in denen sogenannte Selbstmörder außerhalb des Friedhofs begraben werden mussten, sind glücklicherweise in Deutschland vorbei. Was diskutieren wir eigentlich im Moment im Bundestag? Wir sind uns einig, dass die passive Sterbehilfe, d.h. der Abbruch einer Therapie oder lebenserhaltenden Maßnahme, wenn die Betroffenen dies ausdrücklich oder durch Patientenverfügung wollen, nicht nur erlaubt ist, sondern sogar umgesetzt werden muss. Wir sind uns einig, dass eine möglicherweise mit einer Lebensverkürzung einher gehende leidens- und schmerzmindernde Behandlung erlaubt und gewollt ist. Wir sind uns weitgehend einig, dass die aktive Sterbehilfe, das sogenannte Töten auf Verlangen, in Deutschland verboten ist und es auch bleiben soll. Beispiele aus anderen europäischen Ländern, wie z.B. den Niederlanden, in denen ärztliche aktive Sterbehilfe praktiziert wird, mahnen zu äußerster Vorsicht. Es ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht auszuschließen, dass diese zur weiteren Vernachlässigung einer menschenwürdigen Behandlung und Pflege am Lebensende führt. Wir sind uns einig, dass es in Deutschland ein Recht auf Freitod gibt und der Versuch der Selbsttötung nicht bestraft wird. Wir sind uns auch einig, dass es Beratungs- und Unterstützungsangebote geben sollte, die ehrenamtlich und uneigennützig Menschen in Notlagen bei der schwerwiegenden Entscheidung über ihren eigenen, selbstbestimmten Tod beraten. Was also ist der Anlass der aktuellen Diskussion? Denn auch die Beihilfe zum Suizid ist grundsätzlich nicht strafbar. Wir diskutieren das Thema, weil es Unternehmen oder sogenannte Sterbehilfevereine gibt, die gegen Bezahlung oder wegen einer öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung die konkrete Hilfestellung bei der Selbsttötung zum Dienstleistungsangebot erklärt haben. Ich halte es für wesentlich, genau zu unterscheiden: Nicht die uneigennützige Beratung und Begleitung ist für mich das Problem, sondern der assistierte Suizid als Geschäftsmodell. Die Beihilfe zum Suizid ist, wie bereits gesagt, grundsätzlich nicht strafbar. Dies wird aber durch die Beistandspflicht bestimmter Personengruppen, wie Ärztinnen und Ärzten, eingeschränkt. Sie machen sich des Totschlags durch Unterlassen strafbar, wenn sie bei Suizidanten, die bereits ohne Bewusstsein sind, auf Rettungsmaßnahmen verzichten. In der Rechtsprechung wird die Strafbarkeit bei freiverantwortlichen Suiziden gelegentlich verneint, aber es herrscht derzeit große Unsicherheit. In einigen Bundesländern besteht zudem ein berufsrechtliches Verbot für Ärztinnen und Ärzte, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Hier wären mehr Rechtssicherheit und vor allem bundeseinheitliche Regelungen wünschenswert. Was jetzt zu tun ist: Wir brauchen eine starke Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Bereich der Begleitung von Menschen am Lebensende, um ihnen ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Dazu gehören die vielen Hospize und die professionelle Begleitung der dort ehrenamtlich Tätigen. Ja, und wir brauchen dringend einen Ausbau der Palliativversorgung, und zwar nicht die häufige Politikerlyrik, sondern in knallharter Finanzierung für eine integrierte, ganzheitliche Versorgung schwerstkranker Menschen. Umfassende multiprofessionelle Therapiekonzepte gehören ebenso dazu wie die umfassende Aufwertung eines wesentlichen Elements der Betreuung Schwerstkranker – die patientenzentrierte Krankenpflege (und dazu gehört auch die angemessene Entlohnung). Die noch junge Wissenschaft der Palliativmedizin und pflege zeichnet sich durch vieles aus, was unserem traditionellen Gesundheitswesen fehlt: Der Mensch steht tatsächlich im Mittelpunkt. Sein Leiden zu lindern ist Aufgabe berufsübergreifender Teams von Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften, Sozialarbeit bis hin zu den ehrenamtlich Engagierten – in Zusammenarbeit mit den Patientinnen und Patienten. Um dies zu erreichen, bedarf es eines Umdenkens in unserer gesamten Krankenversorgung, eines Endes standesrechtlicher Egoismen und einer abgesicherten Finanzierung durch die Pflege- und Krankenversicherung. Ohne Zweifel braucht es in Einzelfällen allerdings auch Beratung und Assistenz, um eine selbstbestimmte Entscheidung zum Freitod umsetzen zu können. Dies kann nicht durch Geschäftsverträge, sondern nur gemeinsam mit Personen des Vertrauens geschehen. Dazu können neben (Wahl)Verwandten und Freundschaften auch Personen aus Hospizvereinen und ärztliches oder pflegendes Personal gehören. Der vorgeschlagene Nachweis der besonderen Nähebeziehung ist dabei wesentlich und hebt den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung für Angehörige, aber auch für Gesundheitsberufe, auf. Insgesamt würde es der Debatte guttun, wenn wir weniger nur über Selbstbestimmung bei der Wahl der Todesart und des Todeszeitpunkts, sondern mehr über Autonomie und Selbstbestimmung von Individuen am Lebensende reden würden. Dazu gehört auch das Recht auf ein menschenwürdiges Umfeld und auch das Recht auf einen natürlichen Tod.