Einzelplan Gesundheit: Minister Gröhe verwaltet, anstatt zu gestalten


Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Gröhe, ich möchte Ihnen für die Rede, die Sie hier gerade gehalten haben, ausdrücklich danken. Denn einen besseren Beweis für das Motto dieser Großen Koalition, was den Gesundheitshaushalt angeht, konnte es gar nicht geben. Ihr Motto lautet „Verwalten statt gestalten“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht zugehört! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: So ein Quatsch! – Das ist ja frech!)

Wie soll die Gesundheitsversorgung in Zeiten des demografischen Wandels in Zukunft aussehen? Wie kann diese solidarisch finanziert werden? Den Ehrgeiz zu großen, längst überfälligen Reformen bleiben Sie leider schuldig. Diese Koalition verschleppt nahezu alles, was den Patienten und ihren Angehörigen, den Versicherten und den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen würde. Ich möchte nur ein paar Beispiele nennen: Die Koalition packt das Pflegestärkungsgesetz, die Probleme des wachsenden Bedarfs an guter Pflege – ich betone: an guter Pflege –, nicht an der Wurzel. So ist die Einführung des neuen Pflegebegriffs wieder einmal verschoben worden. Das Problem einer langfristigen und gerechten Finanzierung bleibt ungelöst.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Was ist denn damals bei Rot-Grün passiert?)

Stattdessen verschwendet Schwarz-Rot das Geld der Versicherten an einen völlig unsinnigen Pflegevorsorgefonds,

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Dass Vorsorge für Sie unsinnig ist, haben wir ja schon mitbekommen!)

und der schwarz-gelbe Pflege-Bahr, der erwiesenermaßen schon ein totaler Reinfall ist, wird nicht etwa abgeschafft, sondern fortgeführt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mit dem sogenannten Versorgungsstärkungsgesetz – das ist im Moment offensichtlich Ihr Lieblingswort – verliert sich Minister Gröhe hingegen im Klein-Klein. Altbekannte Akteure im Gesundheitswesen werden mit Geschenken und Detailverbesserungen bei Laune gehalten, notwendige Strukturreformen aber werden auf die lange Bank geschoben. Konkrete Regelungen zur Reform der Krankenversorgung, also zur Bedarfsplanung, zur besseren Kooperation der Gesundheitsberufe, zur Stärkung der Verantwortung in den Bundesländern und Kommunen zur Sicherstellung der Versorgung in Stadt und Land, fehlen völlig. Bei dem geplanten Präventionsgesetz bedient sich die Große Koalition bei den Vorschlägen aus den dunklen Zeiten der Gesundheitspolitik von Schwarz-Gelb. Hier hilft ein bisschen SPD-Prosa überhaupt nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Hallo!)

Im Gegenteil: Schwarz-Rot verpasst die Möglichkeit, Prävention und Gesundheitsförderung als Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen, zu finanzieren, zu organisieren und umzusetzen. Wir brauchen eine echte Investition in die Erhaltung und die Förderung der Gesundheit, und zwar mit den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam. Das gelingt aber nur, wenn insbesondere Kinder und Jugendliche sowie die wachsende Zahl älterer Menschen nicht nur kompetent im gesunden Verhalten werden, sondern im Alltag tatsächlich auch die Möglichkeit haben, diese Lebensweise umzusetzen. Das scheitert nicht an fehlenden Kenntnissen, sondern es fehlt an den notwendigen Möglichkeiten Einzelner – übrigens auch den finanziellen Möglichkeiten – und an den Gelegenheiten im Alltag: im Kindergarten, in der Schule, im Betrieb, im Stadtteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Deshalb machen wir neue Gesetze! Sie müssen einmal lesen, was wir machen!)

Deshalb setzen wir Grüne auf eine Gesundheitsförderung, die auch die Verbesserung dieser Alltagswelten zum Gegenstand hat und alle – vor allem die Menschen vor Ort – an der Gestaltung dieser Alltagswelten beteiligt. Wenn wir es schaffen, beispielsweise Kindertagesstätten unter Mitwirkung der Kinder, der Eltern, der Erzieherinnen und Erzieher und der Träger zu gesunden Spiel-, Lern- und Arbeitsorten weiterzuentwickeln, dann steigt die Zufriedenheit, und das wäre eine echte Investition in die Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie bleiben aber nicht nur bei der Ausrichtung hinter Ihrem eigenen Koalitionsvertrag zurück, sondern auch bei der Finanzierung. Wo bleibt die angekündigte breite Finanzierungsbasis, die Einbeziehung der Arbeitslosenversicherung und der privaten Kranken- und Pflegever-sicherung? Prävention kann nicht die alleinige Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Auch hier versagen Sie leider völlig. Die Einbeziehung der Kommunen in die Gestaltung der Alltagswelten kommt bei Ihnen gar nicht vor. Das ist ein besonders wichtiger Punkt. Deshalb erneuern wir heute unseren Appell: Die Zukunft der Prävention und Gesundheitsförderung kann nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Kommunen gestaltet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu braucht man aber den Mut für einen Paradigmenwechsel.

Sehr geehrter Herr Minister Gröhe, wenn Sie die Gesundheitsförderung wirklich ernst nehmen, dann müssen Sie diese momentane Irrfahrt beenden. Legen Sie ein Präventionsgesetz vor, das diesen Namen auch verdient und eine echte Investition in die Zukunft ist! In der Gesundheitspolitik wurde lange genug herumgedoktert. In Zeiten des demografischen Wandels und im Interesse der Gerechtigkeit für alle Generationen brauchen wir endlich eine auf Dauer angelegte bürgerorientierte und soziale Gesundheitspolitik – von der Finanzierung über die Prävention bis hin zu einer guten Krankenversorgung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)