Rettet die kleine Apotheke!

„Was könnte die Apothekenlandschaft nicht schön sein, wenn da nur der Versandhandel nicht wäre!“ So oder so ähnlich tönt es fast unisono aus den Vertretungen der Apothekerschaft.

Seit dem Aufsehen erregendem Urteil des EuGH vom vergangenen Oktober zur Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten zeigt sich aber immer deutlicher, dass die eigentlichen Probleme und Herausforderung der Apothekenlandschaft ganz woanders begründet sind.
Nachdem über ein halbes Jahr das Verbot des Rx-Versandhandels als existentiell beschworen wurde, schlussfolgerte erst am vergangenem Dienstag die ABDA in einem ehrlichen Moment: „Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch die Apotheke vor Ort ist nicht gefährdet.“ Woran es aber hake, sei der Nachwuchs. „Wir haben ein Verteilungsproblem“ – so ein Sprecher (https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/08/01/abda-wir-haben-ein-verteilungsproblem/). Ganz richtig – auch wir haben in unserem Antrag (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/116/1811607.pdf) schon auf die Herausforderung hingewiesen, auch in Zukunft junge Menschen für die Gesundheitsversorgung auf dem Land zu motivieren.

Und auch der Deutsche Apotheker Verlag trägt dieser Tage zur Fokussierung auf tatsächliche Probleme der Arzneimittelversorgung bei – wenn vielleicht auch nicht ganz beabsichtigt. In seinem Auftrag wurde ein Gutachten zur Begründung des von den Apotheken-Verbänden und Minister Gröhe geforderten Rx-Versandhandelverbots verfasst, welches kurz vor der Veröffentlichung steht und aus dem uns vorab ein Kapitel zur Verfügung gestellt wurde. Und dieses hat es in sich. Denn es legt erstmals Zahlen über die Betriebsergebnisse von einzelnen, nach Umsatz geordneten Apothekengruppen vor:

In einem so genannten „Szenariorechner“ sind, auf Daten von 2016 basierend, alle 20.023 Apotheken in neun verschiedene Umsatzgruppen aufgeteilt. Ihnen zugeordnet sind durchschnittliche Betriebsergebnisse vor Steuern der jeweiligen Umsatzgruppen. So zählt die kleinste Umsatzgruppe mit bis 750.000 Euro pro Jahr insgesamt 621 Apotheken, die mit einem Gewinn von weniger als 48.000€ in 2016 abschließen mussten und damit unter dem Existenzminimum von 62.250€ lagen, welches das Gutachten selbst vorgibt. Am anderen Ende der Tabelle sieht die Welt jedoch deutlich rosiger aus: In der höchsten Umsatzgruppe, welche Apotheken mit einem Umsatz von 2,5 Millionen und mehr enthält, fanden sich in 2016 sage und schreibe 5.927 Apotheken mit einem Betriebsergebnis vor Steuern von deutlich mehr als 160.000 Euro. Wieviel genau lässt das Gutachten offen – was wirklich schade ist –   angesichts der enormen Summe, die einem ganzen Drittel (!) der Apothekeninhaberinnen und Apothekeninhaber jährlich zufließt.

 

Bauer, C., May, U. Dettling, H.-U.; „Wettbewerbsökonomische und gesundheitspolitische Begründetheit eines Versandverbots für Rx-Arzneimittel“; Deutscher Apotheker Verlag, NOWEDA eG Apothekergenossenschaft; Juni 2017; S. 59

 

Die Zahlen machen also eines deutlich: Es existiert ein massives Verteilungsproblem der Einkommen zwischen guten und schlechten Lagen sowie großen und kleinen Apotheken! Die Diskussion um den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten erscheint vor diesem Hintergrund als nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver der Großverdiener.

Das heutige starre Preissystem sorgt dafür, dass Apotheken, deren Umsatz größtenteils von durch die  Versichertengemeinschaft bezahlten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln abhängt umso größer ist, je mehr Arzneimittelpackungen über den Tresen wandern. Die Folge: Während die kleinsten Apotheken auf diese Weise gerade so erhalten werden können, dringen die größten Apotheken in beachtliche Einkommenssphären vor. Und: Gute Beratung zahlt sich derzeit überhaupt nicht aus. Das muss sich ändern.

Wie das Gutachten weiter offenlegt, betrifft dies jedoch nicht nur die bekannter Weise gut verdienenden Zytostatika herstellenden Apotheken (etwa 300-400) oder gar die wenigen Apotheken, die einen größeren Versandhandel betreiben (maximal 150) – nein, die Zahlen zeigen, dass 9.591 von insgesamt 20.023 Apotheken im vergangenen Jahr mit einem Betriebsergebnis von mindestens 144.000€ für den Inhaber bzw. die Inhaberin abschließen konnten, und sogar 7.569 mit einem Betriebsergebnis von mindestens und mehr als 160.000€. Die noch dieses Jahr im Arzneimittelstärkungsgesetz auf Initiative der Großen Koalition beschlossene Anhebung der Apothekenhonorare um etwa 110 Millionen Euro jährlich mutet vor diesem Hintergrund fast als Veruntreuung von Versichertengeldern an.

Das erklärte Ziel der heutigen Preisbindung, nämlich die Aufrechterhaltung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung mag somit zwar kurzfristig erreicht worden sein, die Konsequenz ist jedoch eine eklatant ungleichmäßige Verteilung der Einnahmen –  letztendlich auf Kosten derjenigen Apothekerinnen und Apotheker, die von sechsstelligen Betriebsergebnissen nur träumen können – von den Krankenversicherten, die die Rechnung am Ende zahlen müssen, ganz zu schweigen.

Die flächendeckende Sicherstellung der pharmazeutischen Versorgung muss im Interesse der Patientinnen und Patienten garantiert werden. Die Antwort kann aber nicht sein, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten, der seit 2004 in Deutschland mit einem kleinen Marktanteil existiert, zu verbieten. Es wäre auch absurd, per Gießkannensystem das Honorar für alle immer weiter anzuheben. Nötig ist vielmehr ein Sicherstellungszuschlag, damit auch kleine für die Versorgung notwendige Apotheken in ländlichen Räumen bestehen bleiben können. Dieser Zuschlag sollte durch Umverteilung von reichen zu ärmeren Apotheken finanziert werden. Die Zahlen zeigen, dass dafür genug Geld da ist.