Der Völkermord in Ruanda – Zeitzeugen, Journalisten und Politiker diskutieren 11. April 2014 In einem Zeitraum von nur drei Monaten wurden zwischen April und Juli 1994 über 800.000 Menschen in Ruanda ermordet. In der Nacht vom 6. auf den 7. April 2014 jährt sich der Beginn des Völkermordes an Tutsi und die Ermordung moderater Hutu zum 20. Mal. Wir haben im Bundestag in der Grünen Fraktion mit einer Veranstaltung an den Völkermord erinnert. Bei der Veranstaltung, die am 3. April 2014 auf meine Einladung hin stattfand, haben wir gemeinsam mit Zeitzeugen, Journalisten und Politikern ausführlich darüber diskutiert, wie diese Katastrophe überhaupt stattfinden konnte, und wie es um die Verantwortung Deutschlands als Teil der internationalen Gemeinschaft steht. Die anwesende Botschafterin der Republik Ruanda, Christine Nkulikiyinka fasste das damalige Nichtagieren der Internationalen Gemeinschaft plakativ in der Frage zusammen: „Zu schwarz, zu klein, zu arm?“ Die bisherige Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda, seiner Genese, der Mechanismen und seiner Akteure hat der Weltgemeinschaft bereits geholfen, internationale Instrumente zur Frühwarnung und Prävention zu entwickeln, auch wenn es immer wieder schwere Rückschläge gibt. Heute ist daher eine entscheidende Frage, ob wir wirklich bereits alle Erfahrungen aufgearbeitet und wirklich alle Konsequenzen gezogen haben. Die Verantwortlichkeiten für das Versagen der Internationalen Gemeinschaft während des Völkermords hatten einige schnell identifiziert: Die USA mit ihrem Scheitern im Somalia, Belgien als ehemalige Kolonialmacht, Frankreich als starker Verbündeter der Regierung Habyarimana, die Vereinten Nationen, weil sie es versäumt hatten, früher einzugreifen. Und Deutschland? Ich habe den Beginn des Völkermordes als Entwicklungshelferin in Ruanda miterlebt und kann daher sagen, dass Warnungen aus vielen Entwicklungsprojekten in Ruanda nicht ausreichend nach Deutschland weitergeleitet wurden. Zur Deklarierung der Geschehnisse als das, was sie waren, nämlich „Völkermord“, hatte sich die damalige deutsche Regierung erst spät durchringen können. Nicht einmal im Jahr 1994 debattierte der Bundestag über das, was in Ruanda geschah. Auch Öffentlichkeit und Presse waren in diesem Jahr mit den apokalyptischen Berichten aus dem Krieg in Bosnien-Herzegowina überversorgt, ergänzte Dagmar Dehmer, Politikredakteurin des Tagesspiegels. Mit Blick auf Afrika haben damals die positiven Entwicklungen in Südafrika die Presselage dominiert, denn die Apartheid in Südafrika hatte mit den ersten freien Wahlen im April 1994 zeitgleich ein Ende gefunden. Jaqueline Blam, Ruanderin, die die ersten sechs Wochen des Völkermordes miterlebte, berichtete, dass sich die Überlebenden verlassen fühlten, damals 1994, aber auch heute noch. „Es ist nicht einfach als Überlebende in Ruanda zu leben. Die Opfer müssen mit den Tätern weiterhin Tür an Tür leben. Die Überlebenden brauchen eine bessere Unterstützung.“ Sie selbst sei damals nur entkommen, weil sie mit einem Deutschen verheiratet ist: „Ich habe nicht überlebt, weil ich ein Mensch bin, sondern weil ich mit Wolfgang war.“ Mit Blick auf die Frage der deutschen Verantwortung berichtete ihr Ehemann Wolfgang Blam aus einem Gespräch mit dem damaligen Außenminister Kinkel (FDP), der sinngemäß zu ihm gesagt habe, Deutschland riskiere doch nicht für Ruanda seine Freundschaft mit Frankreich. Wolfgang Blam verwies auch auf die unzureichende Unterstützung der Zeugen, die weltweit in Prozessen aussagen. Sie sind – im Gegensatz zu den Gefangenen – oft nicht vernetzt oder frühzeitig juristisch beraten. Ein Fazit: Wir Grüne werden eine parlamentarische Initiative für eine systematische, unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle Deutschlands in den Jahren 1990 bis 1994 initiieren. Dabei geht es für uns nicht um die Schuld Einzelner, sondern um die Grundsatzfrage, wie Deutschland aus eigenen Fehlern lernen und dazu beitragen kann, Völkermorde zukünftig zu verhindern.