Autor*innenpapier: COVID-19 bekämpfen – Gesundheitsforschung nachhaltig stärken

Wissenschaft ist systemrelevant – das zeigt die weltweite Verbreitung und Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dramatische Weise. Während unzählige Menschen Kranke versorgen, die Ausbreitung des Virus verlangsamen und unsere grundlegende Versorgung sicherstellen, arbeiten auch Forscher*innen unter Hochdruck daran, Wege aus der Krise zu finden. Indem wir die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus jetzt verlangsamen, entlasten wir unser Gesundheitssystem und gewinnen wertvolle Zeit für die Forschung. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Erkenntnisse und Empfehlungen von Virolog*innen und Epidemiolog*innen sehr ernst genommen und in politisches Handeln umgesetzt werden.

Selten zuvor haben Menschen so sehr auf den Rat von Wissenschaftler*innen gehört wie in diesen Tagen. Vor Wochen hätten nur wenige damit gerechnet, dass Virolog*innen zu wichtigsten Talkshowgästen und Politikberater*innen der Republik werden. Wissenschaft gibt momentan faktisch den Takt vor und das Wort von Forscher*innen hat tiefgreifenden Einfluss auf unsere alltägliche Lebensweise. Vermeintlich abstrakte Grundlagen- und Spitzenforschung dringen in den Alltag der Menschen vor und prägen mehr denn je gesellschaftliche Realität. In der weltweiten Pandemiekrise übernimmt Wissenschaft – vor allem die Gesundheitsforschung – globale Verantwortung für uns alle; einmal mehr und vergleichbar mit der Klimaforschung in Klimakrise-Debatten. Fortschritte in der kooperativen, weltweit vernetzten Entwicklung neuer Therapien und Impfstoffe machen Mut, dass wir diese schwierige Lage überstehen werden. Dafür müssen gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft auch während der Krise gesichert sein, denn viele Forscher*innen müssen jetzt erhebliche zusätzliche Aufgaben schultern. Dabei muss uns klar sein, dass wir diese weltweite Krise nur gemeinsam überstehen können. Wir sind nur so stark, wie das schwächste Glied in der Kette. Auch in der Gesundheitsforschung muss weltweite Solidarität darum praktisch umgesetzt werden und darf kein leeres Versprechen sein. Insbesondere im Infektionsschutz ist es unabdingbar, Staaten mit weniger ausgebauten Forschungs-, Pflege- und Gesundheitssystem zu unterstützen, einen adäquaten Infektionsschutz auch in diesen Ländern zu etablieren und den Zugang zu lebensrettenden Forschungsergebnissen zu gewährleisten. Auch können wir nur wissenschaftsbasiert ein einigermaßen gesichertes Szenario für die schrittweise Rücknahme der aktuellen Alltagseinschränkungen entwickeln, wenn wir die Forschung weiter stärken. Je früher das möglich ist, desto mehr sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Schaden können wir verhindern. Darum ist jeder Euro in die Forschung gut angelegtes Geld. In Europa und hierzulande wird vielfach zum Coronavirus SARS-CoV-2 und an der Erkrankung COVID-19 geforscht. Die Basis dafür bildet eine starke Gesundheitsforschung von der Grundlagen- bis zur Anwendungsforschung in unseren Universitäten, Forschungseinrichtungen und forschenden Unternehmen.

Damit diese Arbeit auch in Krisenzeiten abgesichert ist, brauchen wir eine Reihe von Sofortmaßnahmen. Außerdem können wir jetzt aus der Krise lernen, wie wir die Gesundheitsforschung insgesamt und besonders die Pandemieforschung weiter stärken und entsprechende Infrastruktur langfristig aufbauen können. So hat Frankreich kürzlich beschlossen, neben Sofortmaßnahmen zur Stärkung der Wissenschaft in der Krise, die Förderung französischer Gesundheitsforschung im Lauf der nächsten zehn Jahre um 5 Milliarden Euro zu erhöhen. Genauso ambitioniert müssen wir hierzulande und gemeinsam in Europa die Pflege- und Gesundheitsforschung stärken, um uns für kommende Gesundheitskrisen wesentlich besser vorzubereiten.

Unmittelbare Handlungsbedarfe, die jetzt angegangen werden müssen

• Die globale Forschungsallianz Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) fokussiert sich derzeit intensiv auf die Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 und beziffert die Gesamtkosten auf rund 1,8 Milliarden Euro, davon sind 810 Millionen Euro bis Ende Juni 2020 notwendig, um die Impfstoffentwicklung nicht zu verzögern. Deutschland hat hierfür kurzfristig 140 Millionen Euro beigesteuert. Nach aktuellem Stand haben bislang nur Großbritannien mit 280 Millionen Euro, Kanada mit 26 Millionen Euro und Norwegen mit gut 3 Millionen Euro weitere Finanzierungszusagen getätigt. Insbesondere mit Blick auf die von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigten Geberkonferenz muss die Bundesregierung jetzt mehr Engagement zeigen: Erstens muss sie dafür kurzfristig ihren eigenen Beitrag zur Impfstoffforschung auf mindestens 320 Millionen Euro aufstocken. Zweitens muss die Bundesregierung ihre internationale Rolle nutzen, weitere Staaten zu den notwendigen Investitionen zu bewegen, damit die internationale Impfstoffforschung nicht ins Stocken gerät. Die Entwicklung der Finanzierung ist genau zu beobachten und ggf. sind auch nach der Geberkonferenz weitere Maßnahmen umzusetzen.

• Wenn Forschung wie im Rahmen von CEPI in wesentlichen Teilen von öffentlichen Geldgebern finanziert wird, müssen auch ihre Forschungsergebnisse allen Menschen zugänglich gemacht werden. Eine exklusive Nutzung solcher Forschungsergebnisse in einzelnen Staaten, wie zum Teil diskutiert wurde und wird, muss von vornherein ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung muss darum im Falle von CEPI ihre herausgehobene Position im Investors Council nutzen, den allgemeinen, bezahlbaren Zugang neuer Impfstoffe sicherzustellen. Ebenso ist zu prüfen, inwieweit spätere Patenterlöse aus öffentlich finanzierter Forschung zurück in die gemeinnützige Forschung fließen können.

• Angesichts des großen Handlungsdrucks müssen auch Behandlungsmethoden und das Wissen über die Verbreitung des neuartigen Coronavirus weiterentwickelt werden. Neben der Impfstoffentwicklung sind dies wesentliche Bestandteile zur Eindämmung von COVID-19, die womöglich früher bereitstehen und Leid verringern. Angesichts der großen Resonanz auf die aktuelle Förderbekanntmachung ist davon auszugehen, dass die bestehenden Fördergelder nicht ausreichen, um alle vielversprechenden Forschungsvorhaben zu finanzieren. Die Fördermittel in diesem Bereich sind von derzeit 15 Millionen Euro auf mindestens 30 Millionen Euro zu verdoppeln.

• Diagnostische Tests müssen zur schnellen, zuverlässigen und flächendeckenden Anwendung weiterentwickelt werden, um die Pandemie einzudämmen. Repräsentative Studien in verschiedenen Regionen können uns ein klareres Bild der aktuellen Infektionslage geben, um eine evidenzbasierte Bekämpfung der Pandemie zu ermöglichen. Gerade auch die Forschung zu Antikörper-basierten Tests zu Immunität haben ein enormes Potential, infizierte Personen auch dann zu erkennen, wenn die Infektion nur einen milden Verlauf nahm, bereits wieder abgeklungen ist und womöglich Immunität besteht. Denn es gibt bereits Hinweise darauf, dass Menschen, die einmal infiziert wurden, immun sind, was jedoch in Vergleichsstudien weiter erforscht werden muss. Ebenso gibt es zu wenig gesicherte Erkenntnisse darüber, wann Antikörper im Blut tatsächlich nachweisbar sind. Darum muss momentan ein Antikörper-basierter Test noch mit einem Polymerasekettenreaktions-Test (PCR-Test) verbunden werden, bei denen das Genom von SARS-CoV-2 direkt nachgewiesen werden kann. Nur so kann eine Infektion zuverlässig ausgeschlossen werden. Auch könnte die schnelle Entwicklung zu Antikörper-basierten Tests dabei helfen, Serumtherapien zielgerichteter und flächendeckender einsetzen zu können. Forschung an Serumtherapien sollte ebenfalls dringlich und möglichst umfassend unterstützt werden. Zur Weiterentwicklung und Validierung diagnostischer Tests, der Erforschung von Immunisierung und Antikörperbasierter Tests zu Immunität sind mindestens 20 Millionen Euro kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Gerade in der Erforschung von Immunisierung und der Entwicklung von Antikörpern beim Menschen nach überstandener CoronaInfektion liegt großes Potential, eine wissenschaftsbasierte Strategie zur Rücknahme der Alltagseinschränkungen zu entwickeln und weitere Infektionswellen zu verhindern.

• Das umfassende Ausarbeiten von Förderanträgen und das Einwerben von Drittmitteln in der aktuellen Pandemie für alle Forschenden eine erhebliche Zusatzbelastung, insbesondere wenn diese zugleich in der Patient*innenversorgung tätig sind. Es braucht in der Krise darum weitere Vereinfachungen und einen Abbau von Bürokratie im Vergabeverfahren seitens des BMBFs. So wird diejenigen, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen, forschen und Patient*innen behandeln, der Rücken freigehalten.

• Hochwertige, verlässliche, interoperable Daten aus der unmittelbaren Versorgung sind unerlässlich, um die Verbreitung des Virus zu verstehen. Für eine gute Zusammenarbeit mit der Forschung brauchen wir eine unbürokratische, schnelle sowie qualitativ hochwertige Weitergabe von Gesundheitsdaten in anonymisierter oder pseudonymisierter Form, die gleichzeitig die informationelle Selbstbestimmung der Patient*innen sicherstellt. Das ist nicht nur für die aktuelle Krise von großer Bedeutung, sondern auch mit Blick auf zukünftige Pandemien sowie Länder, die jetzt noch nicht im selben Maß von COVID-19 betroffen sind. Unzureichende Dokumentation von Therapieansätzen kann später große Folgeprobleme nach sich ziehen. Zugleich stellt jede Datenerfassung oder Teilnahme an Studien zu möglichen Präventionsund Therapieverfahren Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste vor zusätzliche Herausforderungen, die in Krisenzeiten kaum zu leisten sind. Für die zentrale Erfassung solcher Daten durch zusätzliches Personal muss der Bund darum die notwendigen Mittel bereitstellen. Die nun erfolgte Förderung eines Forschungsnetzwerkes der Uniklinika zu Therapieverfahren von COVID-19 durch das BMBF ist zu begrüßen, muss aber auch nach der aktuellen Krise den Austausch zwischen forschenden Klinika – möglichst auf europäischer Ebene – unterstützen.

• Pandemien sind weit mehr als ein gesundheitliches Phänomen, sondern setzen unsere Gesellschaften auf vielen verschiedenen Ebenen unter Druck. Auch die Dynamik ihrer Ausbreitung sowie Maßnahmen zu ihrer Eindämmung können darum nur aus verschiedenen Perspektiven hinreichend verstanden werden. Gerade schlägt die Stunde der Medizin, aber gleichzeitig haben wir die Primetime der Sozial-, Geistes- und Verhaltenswissenschaften. Zum Verständnis der Krise und ihrer gesellschaftlichen Folgen braucht es interdisziplinär angelegte Forschungsvorhaben, die neben gesundheitlichen Aspekten auch soziale, kulturelle, ethische, psychologische und rechtliche Faktoren untersucht. Bürger*innen müssen bei den Forschungsvorhaben systematisch beteiligt werden. Nur so wegen wir langfristige Schlüsse ziehen können, wie sich unsere Arbeitswelt wandelt, welche Folgen physische Distanz verbunden mit dem Appell von gesellschaftlicher Solidarität und sozialem Beistand haben oder wie langer Aufenthalt zuhause nicht zu neuen Belastungen und Spannungen im Zusammenleben führt.

• Ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Arbeit wird von Doktorand*innen, PostDocs und anderen sog. Nachwuchswissenschaftler*innen geleistet. Viele von ihnen sind in prekären, unsicheren Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Neben dem grundsätzlichen Handlungsbedarf sind insbesondere befristet Beschäftigte an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen von der aktuellen Krise betroffen, deren Stellen über Drittmittel finanziert werden. Wissenschaftler*innen haben aufgrund der aktuellen Krise zusätzliche Arbeitsbelastungen zu schulten. Wenn sie ihre Arbeit nicht oder nur verzögert fortsetzen können, müssen entsprechende vertragliche Weiterbeschäftigungen und -bezahlungen sichergestellt werden. Auch Projektfristen, Ausschreibungsverfahren, Zielvereinbarungen und die Laufzeiten von Qualifikationsstellen und Tenure-Track-Professuren sind entsprechend anzupassen.

• Derzeit werden Studien vor Behandlung von COVID-19 mit Medikamenten vorbereitet oder durchgeführt, die bereits für die Behandlung von HIV, Ebola oder Malaria eingesetzt werden. Angesichts eines zu erwartenden steigenden Bedarfs muss jetzt durch eine Steigerung der Produktion sichergestellt werden, dass Menschen, die unter diesen Erkrankungen leiden, auch in Zukunft Zugang zu diesen Medikamenten haben. Wo patentrechtliche Regelungen dem im Wege stehen, müssen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes und des Patentgesetzes geeignete Lösungen gefunden werden. Ebenso ist sicherzustellen, dass rechtzeitig ausreichend Kapazitäten für Produktion und Verteiler eines zu erwartenden COVID-19-Impfstoffes bereitstehen, ohne die weltweite Versorgung mit anderen Impfstoffen gegen lebensbedrohliche Krankheiten zu gefährden. Um solche Engpässe in Zukunft zu vermeiden, müssen die Forschungsmittel im Bereich vernachlässigter und armutsassoziierter Krankheiten um mindestens 75 Millionen Euro jährlich erhöht werden.

Mittelfristige Handlungsbedarfe, die jetzt offensichtlich werden:

• In akuten Krisen müssen Forschungsgelder auch kurzfristig bereitgestellt werden können. Erklärt die Weltgesundheitsorganisation eine Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite, soll die Bundesregierung Forschungsgelder unter besonderen, aber klar geregelten Bedingungen vergeben können. Hierbei ist sich an Artikel 195 der Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union sowie dem Arbeitsprogramm zu Horizont 2020 zu orientieren. Diese sehen unter anderem vor, dass Forschungsgelder in einem stark verkürzten Verfahren vergeben werden können und die gewonnenen Forschungsdaten nach spätestens 30 Tagen entsprechend der FAIR-Prinzipien zugänglich und nutzbar gemacht werden müssen.

• Darüber hinaus sind weitere interdisziplinäre Förderprogramme in der Versorgungsforschung, zur Erforschung des menschlichen Immunsystems, therapeutische Antikörper und Antiinfektiva und den Folgen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit und die Verbreitung von Pandemien aufzulegen, um auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein. Diese sollten längerfristig angelegt sein, bestehende Maßnahmen ergänzen und ein Fördervolumen von 50 Millionen Euro jährlich umfassen.

• Um die notwendigen Forschungsbereiche zur Vorbeugung von Gesundheitskrisen dauerhaft zu stärken, sind vier neue Nationale Forschungszentren in folgenden Bereichen zu gründen: (1) Zentrum für Antiinfektiva und Wirkstoffforschung, (2) Zentrum für Präventionsforschung, (3) Zentrum zur Erforschung der Folgen der Klimakrise auf Gesundheit und Pandemieentwicklung und (4) One-Health-Zentrum zum umfassenden Verständnis der Virusökologie sowie der Herkunft und Ausbreitungswege neuer Erreger zu gründen und nach der Aufbauphase mit jährlich 150 Millionen Euro zu finanzieren. Diese Zentren sollen die bestehende Forschungslandschaft ergänzen, zur stärkeren (auch internationalen) Vernetzung Beitragen und auch Nachwuchswissenschaftler*innen fördern. Daneben ist insbesondere das herausragende Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), aber auch die universitäre und außeruniversitäre Forschung in diesen Bereichen weiter zu stärken.

• Darüber hinaus ist die Forschung zur Risikowahrnehmung auszubauen und die Wissenschaftskommunikation gerade in Krisenfällen zu stärken. Es braucht starke Institutionen der Wissenschaftskommunikation, die sowohl in der Krise als auch dauerhaft in der Lage sind, wissenschaftliche Entwicklungen und Empfehlungen unabhängig aufzubereiten. In diesem Zusammenhang muss beispielsweise noch stärker über die Themen des verantwortungsvollen und verlässlichen Gebrauchs von Antibiotika sowie dem Nutzen von Impfungen aufgeklärt werden. Es ist wichtig, dass Ärzt*innen diesbezüglich Sorgen und Fragen der Menschen ernstnehmen und Aufklärung leisten. Unbegründete Ängste können gerade in Krisenzeiten weitreichende Folgen haben und müssen wissenschaftsbasiert widerlegt werden. Hierfür ist es essenziell, dass Kommunikationsstrategien zur Impf-Aufklärung an allen medizinischen Universitäten einen Weg in den Lehrplan finden.

• Künstliche Intelligenz (KI) kann gut dabei helfen, Verläufe von Pandemien und deren räumliche Ausbreitung zu prognostizieren. Auch für die Analyse der Proteinzusammensetzung des Virus, die Suche nach wirksamen Medikamenten und die Entwicklung eines neuen Impfstoffes wird KI eingesetzt. Die Investitionen der Bundesregierung für KI in der Forschung fallen aber viel zu gering aus, um dieses Potential auszuschöpfen. Wir müssen unsere bestehenden Zentren für Maschinelles Lernen stärker fördern, interdisziplinär vernetzen und auf europäische Kooperationen setzen. Für die Förderung solcher unabhängiger, europäischer vernetzter KI-Institutionen und Netzwerke muss die Bundesregierung 100 Millionen Euro bereitstellen.

• Personenbezogene Daten in anonymisierter oder pseudonymisierter Form kann von der Forschung verwendet werden, um Modelle zur Ausbreitung von COVID19 erstellen zu können, wie es zuletzt das Robert-Koch-Institut mit den pseudonymisierten Daten von Telekom zur Mobilität der Telekomkund*innen getan haben. Die Daten von 46 Millionen Handykund*innen in Deutschland, die sonst nur Unternehmen bereitgestellt werden, wurden so kostenfrei für die Forschung freigegeben. Wenn aber darüber hinaus Personen zustimmen, der öffentlichen Forschung noch präzisere persönliche Mobilitäts- und Kontaktdaten (wie beispielsweise in Taiwan oder Südkorea) zur Verfügung zu stellen, wäre eine frühzeitige Eindämmung von Pandemien möglich Wenn eine solche Zustimmung von ausreichend Personen zu Beginne einer Pandemie beispielsweise per App stattfindet, müssten öffentliches und soziales im Ganzen keine radikalen Einschränkungen erfahren. Denn je früher die Epidemie eingedämmt, desto weniger Personenfreiheiten müssen eingeschränkt werden. Klar ist aber, dass die Nutzung einer solchen App immer nur freiwillig sein kann.

• Unsere Krankenhäuser sind grundsätzlich gut auf besondere Herausforderungen wie COVID-19 vorbereitet. Dennoch wird auch unser Gesundheitssystem in der aktuellen Krise vielerorts bis an die Belastungsgrenze genutzt. Wir brauchen 7 eine systematische Erforschung und Erfassung, wie gut unsere Krankenhäuser und medizinischen Infrastrukturen – einschließlich der Versorgung mit Medikamenten und Schutzausrüstung – für Ausnahmesituationen vorbereitet sind. Dabei ist zentral auch die Perspektive der Mitarbeiter*innen und ihrer besonderen Belastungen mit einzubeziehen. Auch die Patient*innenperspektive muss dabei berücksichtigt werden.

• Was die Krise offenlegt, ist, dass die Digitalisierung im Gesundheitsbereich weiter vorangetrieben werden muss. Unser Antrag „Der Digitalisierung im Gesundheitswesen eine Richtung geben und sie im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer vorantreiben“ (Bundestagsdrucksache 19/13539) zeigt dafür bereits wichtige Handlungsschritte auf. Oberste Priorität hat die Entwicklung einer Strategie für die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die engere Fokussierung auf den Nutzen von digitalen Anwendungen.

• Vor allem auf die Frage, wie wir in Zeiten von Corona eine angemessene Strategie zur Datenweitergabe von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke sicherstellen können, braucht es wohlüberlegte und kluge Antworten, denn Daten stellen eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen dar, gerade in Krisenzeiten. Es muss Transparenz darüber ausgegeben werden, wie die Daten gebündelt werden und an wen sie weitergegeben werden. Wir brauchen eine stringente Koordination der digitalen Aktivitäten der Bundesregierung im Forschungs- und Gesundheitsressort, die auch den Patient*innen transparent gemacht wird. Gerade im medizinischen und pflegerischen Bereich muss zudem die Datensicherheit und den Datenschutz personenbezogenen Daten besonders gewährleistet sein.

• Damit die Nutzbarkeit von Daten verbessert wird und Forscher*innen aussagekräftige Erkenntnisse liefern können, muss die Interoperabilität von Gesundheitsdaten deutlich gesteigert werden. Ein erster wichtiger Schritt wurde dafür mit einer deutschen Mitgliedschaft in SNOMED International getan, doch dieser Standard muss jetzt auch wirklich in der Fläche genutzt werden. Zusätzlich muss sich die Bundesregierung personell und finanziell viel stärker an der Weiterentwicklung von SNOMED und anderen wichtigen Standards auf internationaler Ebene beteiligen, denn Interoperabilität ist keine Einbahnstraße.

• Darüber hinaus ist ein wissenschaftsbasiertes Monitoringsystem für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste in unmittelbarer Umgebung aufzubauen, um eine effiziente Verteilung von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung etc. aufzubauen – hier könnte eine technische Lösung europaweit zur Verfügung gestellt werden.

• Auf zunächst europäischer Ebene ist ein internationales Forum einzurichten, das als regelmäßige Austauschplattform von Fachleuten der Immunologie, Virologie, Epidemiologie, inneren Medizin, Mikrobiologie, Biotechnologie, Pflegewissenschaft und weiterer relevanter Fachbereiche zu Fragen der Pandemievorsorge und -bekämpfung aus wissenschaftlicher Sicht dienen kann. Zudem muss internationaler Austausch, gerade auch mit Wissenschaftler*innen in Regionen, die von Gesundheitskrisen betroffen sind, dauerhaft und über einzelne, zeitlich begrenze Projekte sichergestellt werden. Dabei ist vor allem auch Taiwan einzubeziehen, wo enormes Wissen zur Pandemiebekämpfung gesammelt wurde. Das Land ist aber nicht Teil der Weltgesundheitsorganisation WHO.

• Die Universitätsklinika sind das Herzstück unserer Gesundheitsforschung, wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung und essenziell für die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Gerade jetzt leisten ihre Mitarbeiter*innen einen unschätzbaren Beitrag zur Bewältigung der Krise, von der frühen Diagnose bis zur Versorgung schwerer Fälle. Bund und Länder müssen ihre auskömmliche Finanzierung gemeinsam sicherstellen – gerade im Hinblick auf ihre besonderen Kosten, etwa durch die Versorgung von Patient*innen mit ungewöhnlichen oder besonders schweren Erkrankungen. Bund und Länder sollten ein Modernisierungsprogramm erwägen, damit Universitätsklinika baulich und digital auf der Höhe der Zeit bleiben und auch in Zukunft Kathedralen unseres Wissenschaftssystems sind. Aktuell sollte bei den Ausgleichzahlungen für Uniklinika, nachgesteuert werden, da sie als Maximalversorger höhere Kosten und somit auch höhere Ausfälle haben. Der im COVID-19-Krankenhaus-Entlastungsgesetz vorgesehene Einheitsbetrag von 560 Euro als Ausgleich pro Tag und Patient ist zu gering.

• Klinische Studien sind wesentlich dafür, die Erkenntnisse der Grundlagenforschung zum Wohle der Patient*innen in die Anwendung zu bringen. Die Bundesregierung erkennt selbst an, dass es „bislang nicht erschlossene Potentiale im Bereich nichtkommerzieller, sehr ressourcen-, zeitund personalintensiver klinischer Studien“ gibt (siehe Bundestagsdrucksache 19/18048). Ebenso sind wesentliche, im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung benannte Handlungsfelder im Bereich der Translation bisher nicht adressiert. Gerade wenn Bereiche aufgrund mangelnden kommerziellen Interesses nur noch unzureichend erforscht werden, muss die Bundesregierung – unter anderem entlang der Empfehlungen des Wissenschaftsrates – stärker in die Forschung investieren, um beispielsweise im Bereich der Reserve-Antibiotika zukünftigen Gesundheitskrisen vorzubeugen und damit die europäische Kompetenz in der Erforschung und Produktion lebenswichtiger Arzneimittel zu stärken.

• Die Pflege- und Gesundheitsversorgung sowie die Pflege- und Gesundheitsforschung müssen ein wesentlicher Schwerpunkt der deutschen EURatspräsidentschaft sein, die im Juli 2020 beginnt. Viele der hier skizzierten Maßnahmen müssen bereits jetzt initiiert und schnellstmöglich im Rahmen der EU vorangebracht werden. Dafür muss sich die Bundesregierung für eine Aufstockung der Mittel für das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa auf mindestens 120 Milliarden Euro einsetzen, um die europäische Gesundheitsforschung nachhaltig zu stärken und auch in anderen Themenbereichen kreative und zukunftsgerechte Lösungen für den ökologischen, sozialen und digitalen Wandel unterstützen.

Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule

Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende

Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik

Ekin Deligöz, Berichterstatterin im Haushaltsausschuss für Wissenschaft und Forschung

Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik

Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflegepolitik