Autorinnenpapier: Ältere Menschen und Pflege in Zeiten der Corona-Krise| Solidarität und Verantwortung

Autorinnenpapier, 15.04.2020

Selbstbestimmung und Gesundheitsschutz in Einklang bringen

Die Corona-Pandemie trifft ältere Menschen besonders hart. Im Alter steigt das Risiko für Grunderkrankungen und damit auch die Gefahr, einen schweren Verlauf von Covid-19 zu erleiden oder sogar daran zu sterben. Der Anteil älterer Menschen unter den Todesopfern ist hoch und die schweren Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen in deutschen Städten, aber auch in Spanien oder den USA haben für erschütternde Schlagzeilen gesorgt und werden es weiter tun. Pflegeeinrichtungen drohen aktuell zu Hotspots der Ausbreitung von Covid-19 zu werden. Der Infektionsschutz hat in solchen Einrichtungen daher eine besondere Bedeutung sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für das Personal.

Die meisten älteren Menschen leben aber zu Hause, manche fit, manche mit Vorerkrankungen, manche pflegebedürftig. Sie leben allein, mit Partner oder Familie. Im Interesse aller sollten sich auch ältere Menschen an die derzeit gelten Kontaktbeschränkungen halten, aber für sie sind diese Auflagen mitunter schwer zu ertragen: Der Partner, die Mutter, der Enkelsohn – sie alle dürfen nicht mehr vorbeischauen und nicht mehr in den Arm nehmen, über Wochen gibt es keinen direkten persönlichen Kontakt. Das kann sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirken, denn gerade im Alter haben soziale Kontakte eine große Bedeutung für das Aufrechterhalten von Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität.

Viele ältere Menschen und ihre Angehörigen sind gerade jetzt auf Solidarität angewiesen, auf einkaufende Nachbarinnen und Nachbarn, auf die kommunale Altenhilfe und Unterstützung im Quartier, auf Pflegedienste und auf die Gesundheitsämter.

Die derzeitigen Einschränkungen gelten für alle – sie haben das gesellschaftliche Ziel, die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu vermeiden. Jede und jeder trägt hier Verantwortung, nicht nur sich selbst zu schützen, sondern einen aktiven Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten.

Seit kurzem wird über „Exit-Strategien“ diskutiert, darunter sind auch Vorschläge, die die Isolation älterer Menschen pauschal fortsetzen wollen. Es kann aber kein Ziel sein, vulnerable Gruppen grundsätzlich zu separieren und vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Das ist kaum möglich, medizinisch nicht sinnvoll, gesellschaftlich gefährlich und zudem nicht grundrechtskonform. Stattdessen muss es darum gehen, Risikogruppen Schutzräume zu eröffnen, um ihnen größtmögliche gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, alle Maßnahmen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu unterwerfen und Nachteile auszugleichen – also Gesundheitsschutz und Selbstbestimmung in Einklang zu bringen.

Denn moderne Altenpolitik hat zum Ziel, dass ältere Menschen möglichst lange aktiv, beweglich und in Kontakt mit ihrer Umwelt bleiben – dies ist zentral für die Prävention von Pflegebedürftigkeit, Depressionen, etc. Dafür brauchen sie soziale Kontakte und die Möglichkeit, sich aktiv in gesellschaftliche Leben einzubringen. Das darf nicht pauschal und über eine längere Zeit unterbunden werden. Im Gegenteil müssen alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Epidemie möglichst passgenau auf spezifische Risikosituationen zugeschnitten sein und ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit hin überprüft werden. Allerdings muss älteren Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen (Herz-Kreislauf, Diabetes etc.) bewusst sein, dass sie selbst einem besonders großen Risiko ausgesetzt sind, zu erkranken, intensivmedizinisch betreut zu werden oder zu versterben. Alle sind derzeit gefragt, sich an die befristeten strengen Aufenthaltsregeln zu halten und Rücksicht auf sich selbst UND auf andere zu nehmen – das gilt für alle Altersgruppen.

Für jede – auch zeitlich begrenzte – Einschränkung von Grundrechten und Maßnahme muss daher gelten: Es darf kein milderes Mittel des Eingriffs geben, um das Ziel zu erreichen. Verantwortung jedes einzelnen und Solidarität miteinander stehen für uns im Zentrum. Zugleich darf der Gesundheitsschutz der Risikogruppe sowie der Beschäftigten im Gesundheitswesen und anderen systemrelevanten Bereichen nicht hinter wirtschaftlichen Erwägungen zurückgestellt werden. Voraussetzung für weitere Lockerungsmaßnahmen ist, dass für diese Gruppen die notwendige Schutzbekleidung und weitere Schutzmaterialien sowie ausreichende, regelmäßige Testung zur Verfügung steht. Auch im öffentlichen Raum sind spezielle Schutzmaßnahmen für Risikogruppen zu ergreifen. Dazu gehören beispielsweise das Recht auf Homeoffice oder spezielle Öffnungszeiten in Supermärkten.

Das ist zu beachten:

Die Rolle von älteren Menschen in Exit-Strategien

•Alle Exit-Strategien müssen im Detail – auch in der Unterscheidung spezifischer Bevölkerungsgruppen, hinsichtlich der Eigengefährdung, der Belastung des Gesundheitssystems und dem Ziel der Verlangsamung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 – transparent und wissenschaftlich begründet sein.

• Infektionsschutzbedingte Freiheitsbeschränkungen sollten sich nicht pauschal am Merkmal des Alters oder einer Behinderung orientieren, sondern so spezifisch wie möglich auf Risikosituationen ausgerichtet sein. Auch die regionale Situation ist dabei zu berücksichtigen.

• Auch für die medizinische Behandlung gilt: Selbst in Engpass-Situationen darf das Alter nicht pauschal ausschlaggebend sein für die Frage, ob eine Behandlung erfolgt, etwa die Beatmung von schwer erkrankten Covid-19-Patientinnen und -patienten (Stichwort „Triage“).

• Alle infektionsschutzbedingten Einschränkungen der Grundrechte sind ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit zu überprüfen und so schnell wie möglich aufzuheben. Dies gilt nicht nur für politische Entscheidungsträger auf allen Ebenen, sondern auch für Krankenhäuser, Gesundheitsämter und insbesondere Pflegeheimleitungen vor Ort.

• Bei allen Exit-Plänen sind zur Infektionsprävention für die Risikogruppen Schutzräume einzurichten, um ihnen größtmögliche gesellschaftliche soziale Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen. So könnten im Bereich der Versorgung mit Gütern der Daseinsvorsorge und bestimmten Dienstleistungen, Sondereinkaufszeiten vorgesehen werden, die mit besonderen Schutzvorkehrungen wie möglichst großem Abstand durch wenig Kunden und besondere Reinigung von Flächen einhergehen.

• Auch im Berufsleben sind für Risikogruppen Schutzmaßnahmen zu treffen. Sie sollten das Recht haben, zuhause zu bleiben oder im Homeoffice von zu Hause aus zu arbeiten, wenn sie das selbst wollen. Der Arbeitsplatz sollte in Absprache mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern so sicher wie möglich im Hinblick auf den Infektionsschutz ausgestaltet werden.

• Bei der (Weiter-)Entwicklung der Exit-Strategien sind Betroffene und ihre Interessensvertretung direkt zu beteiligen und anzuhören, für ältere Menschen etwa Seniorenbeiräte oder Seniorenvertretungen an den fortlaufenden Maßnahmen im Quartier und der Region sowie auf der Bundesebene Anhörung der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenorganisationen – BAGSO e.V.

Alltag älterer und pflegebedürftiger Menschen in Pflegeeinrichtungen

• Besuchsverbote und Aufnahmestopps: Solche Einschränkungen sind zeitlich und vom Umfang her auf das medizinisch absolut notwendige Maß zu reduzieren. Besuche sind für ältere Menschen, auch im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand wichtig, und dass Einrichtungen weiterhin neue Bewohnerinnen und Bewohner aufnehmen ist unverzichtbar, um die Engpässe in der häuslichen Pflege aufzufangen. Es sollten für solche Einschränkungen bundesweit möglichst einheitliche Grundsätze erarbeitet werden, wobei vor Ort immer auf Besonderheiten in Einzelfällen eingegangen werden muss. Zum Risikomanagement in stationären Einrichtungen könnten z. B. Besuchskorridore durch das Fachpersonal organisiert werden, damit sowohl die Anleitung der Besucherinnen und Besucher als auch ausreichend Schutzmaterial gesichert sind.

• Menschen mit Demenzerkrankung: Diese Gruppe trifft nicht nur Kontaktbeschränkungen besonders hart. Menschen mit Hinlauftendenz können nur schwer für Quarantänemaßnahmen in einem Zimmer gehalten werden. Hier sind kreative und an den Menschen orientierte Lösungen vor Ort zu finden, etwa gewisse Flure oder Gebäudeteile für sie freizugeben.

• Ausbau digitaler Kommunikationsmöglichkeiten: Bewohnerinnen und Bewohnern, insbesondere wenn sie in Quarantäne sind, sollten digitale Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Freunden und Verwandten ermöglicht werden, z.B. mit Tablets über Skype. Alle digitalen Möglichkeiten sind zu nutzen, um die Härten von Kontaktbeschränkungen zu überwinden und soziale Teilhabe zu ermöglichen.

• Sterbende Menschen haben ein Recht auf Begleitung durch nahestehende Personen, denn sie ist sowohl für die sterbende Person als auch für die Angehörigen elementar. Der Tod ist endgültig, die Sterbebegleitung lässt sich nicht nachholen und wird, wenn sie nicht stattfinden konnte, die Trauer der Angehörigen ein Leben lang belasten. Für die Sterbebegleitung sind entsprechende Schutzausstattungen vorzuhalten. Zudem haben die Menschen ein Recht auf bestmögliche palliative Versorgung beim Sterben durch Covid-19. Das muss gerade auch in Pflegeheimen sichergestellt werden.

• Grundsätzlich gilt, dass für Pflegeinrichtungen, ambulante Pflegedienste und Angehörige in Haushalten mit CoVid-19 prioritär ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen ist.

• Es müssen ethische Handlungsleitlinien zum Umgang mit der Covid-19-Pandemie in Pflegeeinrichtungen entwickelt werden. Dort können sich vielfältige Konfliktsituationen ergeben, etwa wenn über die intensivmedizinische Behandlung eines alten, nicht einwilligungsfähigen Menschen entschieden werden muss, wenn Schutzmaterial für Angehörigenbesuche knapp wird oder nur zur Vorsicht Menschen isoliert werden müssen und das zu einem großen Leidensdruck bei ihnen führt. Ein Handlungsleitfaden mit klaren Vorgaben würde mehr Rechtssicherheit bieten und Einrichtungsleitungen und Pflegekräfte vor Ort entlasten, sie vor moralischem Stress bis hin zu Traumatisierungen schützen.

Selbstbestimmung und Teilhabe älterer Menschen zu Hause und im Quartier ermöglichen durch Hilfe und Schutzmaßnahmen

• Kommunen sollten über Nachbarschaftszentren, Generationstreffpunkte sowie Vereine und Verbände z.B. mittels Hotlines für ältere Menschen da sein und gezielt Hilfsangebote vermitteln. Dies gilt nicht nur, aber besonders für den ländlichen Raum und benachteiligte Stadtteile. Bereits bestehende Nachbarschaftsnetzwerke sollten sichtbar gemacht werden, damit die bestehenden Hilfsangebote die älteren Menschen auch erreichen. Es müssen gute den verschiedenen älteren Zielgruppen entsprechende Informationen zur Verfügung stehen, um umfassend selbst Verantwortung für sich und andere übernehmen zu können.

• Arztbesuche: Fahrtkosten zum Arzt, die mit dem Taxi entstehen, sollen von der gesetzlichen Krankenkasse für ältere Versicherte voll erstattet werde.

• Hausbesuche: Um älteren Menschen das Warten in den Arztpraxen zu ersparen und somit das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten, sollten aufsuchende gesundheitliche und pflegerische Angebote ausgebaut werden.

• Gerade in Zeiten von Corona sind ältere und pflegebedürftige Menschen auf Hol- und Bringedienste angewiesen. Es braucht daher einen Ausbau der relevanten Lieferdienste und eine Priorisierung zugunsten der Risikogruppe. Der sogenannte Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung sollte von 125 Euro auf 250 Euro verdoppelt und außerdem flexibilisiert werden, damit er zur Finanzierung dieser Dienste genutzt werden kann.

• Aufgrund der zunehmenden Ausbreitung des Corona-Virus hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Begutachtung in der Wohnumgebung der Pflegebedürftigen bis vorläufig September 2020 ausgesetzt. Die Pflegebegutachtung findet ersatzweise durch ein Telefoninterview oder nach bereits vorliegenden Unterlagen statt. Hier muss sichergestellt werden, dass den Betroffenen keine Nachteile entstehen und der Zugang zu den Leistungen im Falle eines positiven Bescheides schnell und unbürokratisch erfolgt.

Forderungen für pflegende Angehörige

Die Mehrzahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wird zu Hause durch Angehörige versorgt, zum Teil ganz ohne professionelle Unterstützung.

Auch diese Pflege ist systemrelevant und ein unschätzbarer Dienst an unserer Gesellschaft, der in der Corona-Krise zu wenig Beachtung findet. In Situationen, in denen soziale Kontakte und familiäre Hilfen aufgrund von Pflegebedürftigkeit unabdingbar sind, stoßen pflegende Angehörige an ihre Grenzen.

Sie fürchten das Virus bei der Versorgung unbemerkt weiterzugeben und damit das Risiko einer Infektion und die Gefahr für die pflegebedürftige Person zu erhöhen. Gleichzeitig entfallen wichtige Unterstützungsangebote wie die Tagespflege, die die Hauptpflegepersonen eigentlich entlasten sollen. Pflegende Angehörige müssen umgehend besser geschützt und unterstützt werden.

Daneben gilt:

• Schutzausrüstung und Testungen: Pflegende Angehörige müssen ausreichend mit Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln ausgestattet werden und Zugang zu regelmäßigen Tests auf Covid-19 haben, ebenso wie das professionelle Pflegepersonal (siehe weiter unten).

• Versorgungsengpässe: Pflegenden Angehörige fürchten, dass sie bspw. aufgrund ihrer Arbeit in einem systemrelevanten Beruf oder eigener Quarantäne die Versorgung und Betreuung ihrer zu pflegenden Angehörigen nicht mehr aufrechterhalten können. Für solche Fälle ist durch die Kommune eine Notbetreuung (z.B. durch die Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen, die aufgrund der Pandemie schließen mussten) aufzubauen sowie eine Notfallhotline einzurichten, an die sich die Pflegepersonen wenden können, um schnellstmöglich Hilfe zu erhalten.

• Lohnfortzahlung: Wie kürzlich richtigerweise für Eltern von Kindern beschlossen, müssen auch Pflegende Angehörige für bis zu sechs Wochen eine Lohnfortzahlung erhalten, wenn ihre Betreuungsmöglichkeit, wie etwa die Tagespflege, im Zuge der Corona-Krise entfällt.

• Schon seit einiger Zeit fordern wir mit der grünen PflegeZeit Plus darüber hinaus eine bis zu dreimonatige Freistellung für Menschen, die Verantwortung für pflegebedürftige Angehörige, Nachbarn oder Freundinnen oder Freunde übernehmen. Mit einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung – ähnlich wie beim Elterngeld – soll dies für alle Erwerbstätigen finanziell abgesichert werden. Dieser Forderung müssen wir in der aktuellen Situation Nachdruck verleihen, denn nicht alle pflegenden Angehörigen sind während der Pandemie vom Beruf freigestellt, zum Teil sind sie Selbstständige oder arbeiten unter erschwerten Bedingungen im Home-Office. Zusätzlich fallen viele professionelle Unterstützungsstrukturen kurzfristig aus. Es ist nicht hinnehmbar, dass Pflegende Angehörigen gezwungen sind unbezahlten Urlaub und finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen.

• Pflegehilfsmittelpauschale: Pflegebedürftige, die zu Hause gepflegt werden, haben Anspruch auf Pflegehilfsmittel, wie Inkontinenzmaterialien, Schutzschürzen, Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel. Die Kosten für diese zum Verbrauch bestimmten Hilfsmittel werden bis zu 40 Euro pro Monat von der Pflegekasse übernommen und sollen die Pflege erleichtern, Pflegepersonen schützen und Pflegebedürftige eine eigenständigere Lebensführung ermöglichen. Wir fordern die Pflegehilfsmittelpauschale befristet auf 80 Euro pro Monat zu erhöhen, um den Menschen die Sicherheit zu geben benötigte Materialien, deren Preise im Zuge der Corona-Krise zum Teil erheblich gestiegen sind, auch finanzieren zu können.

• Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege: Viele Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege müssen wegen des Coronavirus zeitweise schließen. Für pflegende Angehörige brechen damit wichtige Unterstützungsstrukturen weg. Um ihnen dennoch möglichst großen Spielraum bei der Organisation der Pflege zu ermöglichen, muss es möglich sein die Verhinderungspflege mit dem gesamten nicht genutzten Anspruch der Kurzzeitpflege zu kombinieren. Denn aktuell sind es höchstens 50 Prozent des Leistungsanspruches aus der Kurzzeitpflege, sofern dieser noch nicht ausgeschöpft wurde. Umgekehrt können aber bereits bis zu 100 Prozent der Verhinderungspflege in die Kurzzeitpflege übertragen werden.

• Rückkehr zur Normalität: Vorübergehende Maßnahmen zum Umgang mit der Krise in der Pflege, wie das Aussetzen der Pflegeberatung oder der Pflegebegutachtung in der eigenen Häuslichkeit, sind als absolute Ausnahmesituation zu betrachten und müssen so schnell wie möglich wieder aufgehoben werden.

Forderungen für die Professionelle Pflege

Professionelle Pflege war schon immer systemrelevant – leider wird es erst jetzt für alle deutlich. Professionelle Pflegekräfte leisten mit ihrer qualifizierten Arbeit einen großen Beitrag für unsere Gesellschaft – ob in den Krankenhäusern, in den (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen, den ambulanten Pflegediensten oder in den Hilfen für behinderte Menschen. Sie verdienen unsere Wertschätzung und größtmöglichen Schutz – nicht nur, aber gerade auch in Zeiten der CoronaPandemie.

Das ist zu tun:

• Schutzkleidung und Masken: Professionelle Pflegekräfte in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und von ambulanten Pflegediensten müssen ausreichend mit Schutzausrüstung ausgestattet werden, damit sie die ihnen anvertrauten Menschen versorgen können, ohne sich selbst und andere zu gefährden. Bei der Beschaffung und Verteilung von Material müssen sie vorrangig berücksichtigt werden, zumal sie die häufigsten und direkten Kontaktpersonen von Risikopatientinnen und -patienten sind. Das gilt auch für Angehörige aller anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die direkten Kontakt mit Patientinnen und Patienten haben. Einrichtungen der Behindertenhilfe und Dialyse müssen ebenso bedacht werden.

• Testung: Professionelles Pflegepersonal, ebenso wie das übrige Personal im Gesundheitswesen mit direktem Patientenkontakt, ist ebenso wie pflegende Angehörige bei der Testung auf Covid-19 prioritär zu behandeln. Diese Gruppen müssen regelmäßig und schnell getestet werden, damit bei einer Infektion sofort Schutzmaßnahmen ergriffen werden können und Betroffene sich und andere nicht gefährden.

• Unterstützung bei lokalen Krisen: Ist in einer Einrichtung Covid-19 unter den Bewohnerinnen und Bewohnern und dem Personal ausgebrochen, ist schnelle Unterstützung unerlässlich. In diesen Fällen sollte eine Taskforce aus Akteuren wie dem örtlichen Gesundheitsamt, der Heimaufsicht, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, ggf. in Rücksprache mit übergeordneten Behörden wie dem Robert-Koch-Institut, schnell und unbürokratisch Beratung und Hilfe vor Ort leisten, auch mit Personaleinsatz, damit die notwendigen Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen und das Personal geschützt und entlastet werden kann.

• Prämie für Pflegkräfte: Eine Prämie zur Anerkennung der besonderen Leistung und Belastung der Pflegekräfte in der Corona-Krise ist richtig. Der Bundesfinanzminister hat einmalige Prämien bis 1.500 Euro steuerfrei gestellt, die „Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche“ (BVAP) hat mit ver.di eine tarifliche Einigung über ebendiese Summe getroffen. Zahlreiche Bundesländer haben eigene Prämien in Aussicht gestellt, jeweils mit einer unterschiedlichen Höhe und Ausrichtung. Wir fordern eine bundeseinheitliche Lösung von 1.500 €. Dabei sind Pflegende aus allen Sektoren zu berücksichtigen (Krankenhaus, stationäre und ambulante Altenpflege); es müssen Kriterien entwickelt werden, welche Berufe und Einrichtungen genau davon profitieren sollen. Die Finanzierung der Prämie darf nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen, ihr Eigenanteil sollte so schnell wie möglich gedeckelt werden. Die derzeitige Pflegefinanzierung ist auch in diesem Zusammenhang problematisch, da die Pflegeversicherung nur einen Teil der Pflegeleistungen finanziert. Den Rest müssen Pflegebedürftige mit immer weiter steigenden Eigenanteilen schultern. Deshalb sollte die Prämie aus Steuermitteln gegenfinanziert werden und könnte über den Gesundheitsfonds und einen Fonds für die Pflege abgewickelt werden. Langfristig muss die Pflegeversicherung so reformiert werden, dass Pflegebedürftige nur noch einen niedrigeren, festgelegten Eigenanteil zahlen müssen, während die Pflegeversicherung den Rest finanziert. Die grüne Bundestagsfraktion hat dazu das Reformkonzept der „Doppelten Pflegegarantie“ entwickelt. Eine Prämie allein verbessert noch nicht grundlegend die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften. Wir hoffen, dass die Tarifparteien zügig die Verhandlungen für eine tarifliche Bezahlung in der Pflege fortsetzen und diese Einigung zeitnah für allgemeinverbindlich erklärt wird.

• Schulung und psychologische Betreuung: Es muss sichergestellt werden, dass professionell Pflegende die aktuellsten COVID-19-spezifischen Anleitungen und Schulungen erhalten und über Strategien verfügen, um Patienten im Umgang mit Isolation, dem Fehlen von Besuch der Angehörigen und Todesangst zu helfen. Zudem muss eine geeignete psychologische Betreuung für die Pflegekräfte vorhanden sein.

• Arbeitsbedingungen: Es bleibt eine Daueraufgabe, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und mehr Menschen dafür zu gewinnen. Wir schlagen deshalb mit unserem Weiterbildungskonzept eine Prämie von 200 Euro vor für Menschen, die sich dazu entscheiden, eine Umschulung für diesen Engpassberuf zu machen. Unnötige Hürden bei der Zuwanderung von Fachkräften – etwa die schleppende Visa-Vergabe oder die unterschiedlichen Anerkennungsverfahren in den Bundesländern – müssen abgebaut werden, damit mehr Kolleginnen und Kollegen dazu beitragen können, die Arbeitsbelastung zu verringern. Nicht zuletzt sind alle Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, um den Arbeitsalltag in der Pflege zu erleichtern und stärker auf die pflegebedürftigen Menschen auszurichten. Die Herausforderungen der Corona-Krise bieten auch die Chance, moderne Pflegekonzepte mit mehr Eigenverantwortlichkeit zu erproben und zu etablieren. Grundsätzlich und langfristig ist es weiterhin geboten, die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen den Gesundheitsprofessionen voranzubringen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Das Einhalten von Arbeitsrecht und Arbeitsschutz, faire und gerechte Löhne, gute Personalentwicklung, respektvolle mitarbeiterorientierte Führung und Unternehmenskultur, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie gezielte und nachhaltige Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz sind sowohl während als auch nach der Pandemie unerlässlich.

• Mitsprache: Wie auch in normalen Zeiten wird in der Corona-Krise viel über die professionelle Pflege gesprochen, doch viel zu wenig mit ihr. Virologinnen und Virologen sowie Ärztinnen und Ärzte bestimmen den öffentlichen Diskurs darüber, wie mit der Krise und den Infektionen umzugehen ist. Dabei verfügt die professionelle Pflege über eine wichtige Erfahrung und Expertise, gerade im Umgang mit Beatmungspatientinnen und -patienten. Sie ist deshalb in alle Überlegungen für Maßnahmen zur Pandemie einzubeziehen, sowohl für politische Entscheidungen als auch zur Situationsbewältigung vor Ort in Einrichtungen und Haushalten. Hier kommt den Landespflegekammern große Bedeutung zu und es verdeutlicht die Notwendigkeit einer Bundespflegekammer.

• Rückkehr zur Normalität: Vorübergehende Maßnahmen zum Umgang mit der Krise in der Pflege, wie das Aussetzen des Pflege-TÜV in den stationären Pflegeeinrichtungen oder der Personaluntergrenzen in den Krankenhäusern, sind als absolute Ausnahmesituation zu betrachten und müssen so schnell wie möglich wieder aufgehoben werden. Statt der ohnehin unzureichenden Personaluntergrenzen in den Krankenhäusern müssen so schnell wie möglich am tatsächlichen Pflegebedarf orientierte Personalbemessungsregelungen etabliert werden, und zwar sowohl in Krankenhäusern als auch in stationären Pflegeeinrichtungen.

Katja Dörner MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Britta Haßelmann MdB, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin

Kordula Schulz-Asche MdB, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik

Maria Klein-Schmeink MdB, Gesundheitspolitische Sprecherin

Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB, Sprecherin für Gesundheitsförderung und Drogenpolitik

Dr. Bettina Hoffmann MdB, Sprecherin für Umweltpolitik und Umweltgesundheit