Fachgespräch Blaulichtorganisationen: Ehrenamtliche dringend gesucht

Ob Feuerwehr, THW, Sanitätsdienste oder DLRG – die sogenannten „Blaulichtorganisationen“ leisten einen unerlässlichen Beitrag zur Sicherheit und zum Schutz unserer Bevölkerung. Diese wertvolle Arbeit ist nur durch die zahlreichen ehrenamtlich engagierten Mitglieder möglich. Doch immer mehr Organisationen haben mit massiven Nachwuchssorgen zu kämpfen. Die grüne Bundestagsfraktion hat deshalb zum Fachgespräch in den Bundestag geladen, um Ideen für neue Konzepte für eine nachhaltige Stärkung des Ehrenamts zu diskutieren.

 

EHRENAMT: DAS RÜCKGRAT UNSERER DEMOKRATIE

Engagement stärkt das Rückgrat unserer Demokratie und ist ein wichtiger Baustein unseres Gemeinwesens. Das Ehrenamt in Hilfsorganisationen, Rettungs- und Sanitätsdiensten, Feuerwehr und THW ist aber zugleich auch die tragende Säule des Zivil-, Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes und somit der Inneren Sicherheit im Allgemeinen. Das Löschen von Bränden, das Retten nach einem Verkehrsunfall, die Versorgung und Betreuung von Verletzen oder die Hilfe bei Hochwasser erfordern zugleich speziell und professionell ausgebildete Kräfte. Mehr als 90 Prozent solcher Einsätze werden von Ehrenamtlichen getragen. Das immer mehr Organisationen massive Nachwuchsprobleme haben, hat auch die Bundesregierung in ihrem überarbeiteten Zivilschutzkonzept konstatiert. Doch anstatt konstruktive Konzepte zur Nachwuchsgewinnung und Unterstützung der wertvollen Arbeit der Ehrenamtlichen zu entwickeln, hat die Bundesregierung im vergangenen Sommer mit dem Rat sich ausreichende Lebensmittelvorräte zuzulegen, Verunsicherung und Angst geschürt. Neben demografischen Veränderungen sehen sich die Organisationen mit zahlreichen Problemen konfrontiert: flexible Arbeitsverhältnisse, die regelhaften ehrenamtlichen Einsatz erschweren, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt, mangelnde Mobilisierung von Frauen sowie von Migrantinnen und Migranten.

WIE KANN ENGAGEMENT GEFÖRDERT WERDEN?

Irene Mihalic MdB, Sprecherin für Innenpolitik und Kordula Schulz-Asche MdB, Sprecherin für Bürgerschaftliches Engagement haben gemeinsam in neun Thesen formuliert, wie gelingende Engagement-Förderung aussehen kann. So soll jede und jeder mitmachen können und Engagement nicht am Geldbeutel scheitern. Erforderlich sind angemessene Aufwandsentschädigungen, persönliche Auslagen müssen ersetzt werden. Das klassische Ehrenamt muss sich stärker für Frauen und MigrantInnen öffnen: In manchen Orten ist es beispielsweise für Frauen nicht möglich, sich als Feuerwehrfrau zu engagieren, weil es nur Umkleiden oder Waschräume für Männer gibt. Auch Migranten und Migrantinnen sind im Bevölkerungsschutz deutlich unterrepräsentiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anerkennung des Engagements. Hier ist noch viel Luft nach oben: Formen der Würdigung, Wertschätzung und Erleichterung des Engagements wollen wir Grüne ausbauen. Dazu gehören die Übernahme von Haftpflicht- und Unfallversicherung, Qualifizierung und (möglichst zertifizierte) Weiterbildungsmöglichkeiten, Nachweise für Lebensläufe, aber auch Auszeichnungen wie Ehrenamtsnadeln und die JugendleiterIn-Card. Wir wollen, dass mehr Bundesländer den Engagierten den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz zukommen lassen (Pflichtversicherung kraft Satzung) und prüfen, wie die freiwillige Versicherung für Aktive in gemeinnützigen Organisationen rechtlich und finanziell ausgeweitet werden kann. Um Engagierte zeitlich zu entlasten, sollten Weiterbildungen, die für freiwilliges Engagement benötigt werden, als Bildungsurlaub anerkannt werden können. Gleichzeitig wollen wir mehr Geld im Bundeshaushalt für Fortbildungen und Supervision bereitstellen – damit Herausforderung nicht in Überforderung mündet.

UM DAS EHRENAMT ZU FÖRDERN, MUSS VIELES ANGESCHOBEN WERDEN

Für das Engagement bei Feuerwehr, THW und anderen Organisationen. spielt auch die Ausrüstung eine wichtige Rolle. Moderne Fahrzeuge und Maschinen steigern nicht nur die Attraktivität der ehrenamtlichen Tätigkeit in den Blaulichtorganisationen, sondern sind auch für eine Erfüllung des Dienstes unerlässlich. Viele Ehrenamtliche beklagen sich über veraltete Fahrzeuge und Geräte, die häufig in der Werkstatt und nicht im Gerätehaus stehen. An dieser Stelle braucht es eine zuverlässige Investitionspolitik.

FÜHRUNGSKRÄFTE INS EHRENAMT

Karl-Heinz Knorr, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands wies darauf hin, dass viele Ehrenamtliche bei Umzügen verloren gingen, hier müssen die regionalen Verbände besser miteinander kooperieren und den Übergang erleichtern. Insgesamt seien die Entwicklungen bundesweit sehr unterschiedlich: in manchen Verbänden gibt es Aufnahmestopps, andere bluten regelrecht aus. Eine besondere Herausforderung sei es vor allem, ausreichend qualifizierte Führungskräfte unter den Ehrenamtlichen zu gewinnen.

MARKETINGSTRATEGIE FÜR IMAGEKAMPAGNEN

Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks, empfahl eine übergeordnete bundesweite Marketingstrategie: „Wir müssen ein Produkt schaffen, ein Dach für die vielen Einzelimagekampagnen.“ Er warb dafür, Altersbegrenzungen nach oben aufzuheben und gleichzeitig bereits die Kleinsten für Minigruppen zu begeistern. Zudem machte er sich für Kooperationen mit Hochschulen stark. Wo es sie bereits gibt, erweisen sie sich als äußerst erfolgreich.

NEUE MITMACHFORMATE ENTWICKELN

Christoph Müller, Leiter der Personalentwicklung für Leitungskräfte im Ehrenamt beim Deutschen Roten Kreuz, wies selbstkritisch darauf hin, dass sich die Organisationen für das Interesse an ungebundenem Engagement öffnen müssen. Dafür sollten neue Mitglieds- und Mitmachformate entwickelt werden, anstatt am starren „100 Prozent dabei oder gar nicht“ festzuhalten. Die Flüchtlingshilfe zeige das ungebrochene soziale Engagement. Jetzt gilt es, diese Potenziale dauerhaft für die Organisationen zu gewinnen.

INFRASTRUKTUR AUFBAUEN

Ute Vogt, Vizepräsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft nannte als Hauptproblem für ihre Organisation die fehlende Infrastruktur. Ohne Schwimmbäder können auch keine RettungsschwimmerInnen ausgebildet werden. Positive Erfahrungen bei der Gleichstellung würde die DLRG mit Ausbildungsprogrammen für Führungskräfte machen, die zur Hälfte mit Frauen besetzt werden.

IN DEN ORGANISATIONEN MITBESTIMMUNG ERMÖGLICHEN

Nach den Inputs aus den Blaulichtorganisationen kommentierte Dr. Serge Embacher vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) aus Sicht der Engagement-Förderung: Die Gesellschaft hat sich verändert, alles ist flüchtiger geworden und hergebrachte Ordnungsmuster sind in Veränderung. Die Organisationen müssen sich an die Gesellschaft anpassen und nicht umgekehrt. Jede und jeder Einzelne hat unendlich viele Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, dennoch ist etwa die Engagement-Bereitschaft der Jugend ungebrochen. Aber junge Menschen wollen nicht einfach nur Aufgaben übernehmen, sie wollen mitgestalten und sich einmischen. Klassisch hierarchisch aufgebaute Organisationen müssen sich daher neu aufstellen und Mitbestimmung ermöglichen. So werden sie attraktiv und können mit neuen Formen des selbstorganisierten ungebundenen Engagements mithalten. Insgesamt gelte es, Engagement- und Demokratiepolitik zusammenzudenken.

FAZIT: PARLAMENTARISCHE INITIATIVE IST IN ARBEIT

Anschließend hatten auch die rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, ihre Fragen und Anregungen aus den Alltag der Ehrenamtlichen in die Diskussion einzubringen. Eine junge Teilnehmerin erläuterte, dass die „Blaulichtorganisationen“ zum Beispiel bei der Digitalisierung einiges aufzuholen hätten, um für junge Leute attraktiver zu werden.

Die grüne Bundestagsfraktion wird aus den Ideen, dem Feedback und der Diskussion zu unseren Thesen eine parlamentarische Initiative zu erarbeiten und die Debatten unseres Fachgesprächs damit ins Plenum des Bundestages tragen.