Präventionsgesetz: Enttäuschung auf ganzer Linie 14. Juli 2015 Abbau von gesundheitlichen Risiken? Mehr Geld für Präventionsprogramme? Prävention in den Alltagswelten? Klingt doch alles super, oder? Mit einem Blick hinter die Fassade des schwarz-roten Präventionsgesetzes erkennt man recht schnell: Die Bundesregierung vergibt die Chance, möglichst allen Bürgerinnen und Bürgern ein langes Leben bei guter Gesundheit zu ermöglichen. Krank trotz Präventionsgesetz Gerade Menschen, die nicht das Glück haben, in guten Verhältnissen und ohne finanzielle Sorge aufzuwachsen bzw. leben zu können, brauchen aber unsere Unterstützung. Soziale Benachteiligung bewirkt gesundheitliche Risiken – und umgekehrt: Wer häufiger krank ist, hat weniger Chancen in der Schule und im Beruf, weniger Chancen auf gesunde Lebensjahre und hat eine geringere Lebenserwartung. Und gerade weil der Zusammenhang zwischen sozialer Situation und Gesundheitsrisiken so deutlich belegt ist, helfen keine platten Verhaltensappelle, wie zum Beispiel, dass man mit dem Rauchen aufhören soll. Da helfen auch keine Hochglanzbroschüren, die erklären wie man sich am besten gesund ernährt. Und da helfen auch keine Rezepte, um im Fitnessstudio abzuspecken. Dennoch setzt die Große Koalition auf solche individuellen Maßnahmen, obwohl wir wissen, dass diese langfristig nicht wirken. Schwarz-Rot ignoriert, dass die soziale Ungleichheit auch gesundheitliche Ungleichheit bewirkt. Lieber verharrt sie in der Logik ‘DU bist Schuld, also musst DU auch etwas ändern‘. Eine Zeigefingermentalität die ihres gleichen sucht. Das Präventionsgesetz setzt einseitig auf die Eigenverantwortung, auf falsche finanzielle Anreize und ärztliche Präventionsempfehlungen. Schwarz-Rot ignoriert, dass erfolgreiche und nachhaltige Gesundheitsförderung nicht nur das Verhalten der Einzelnen in den Blick nehmen sollte, sondern besonders die Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen in den Fokus nehmen müsste. Wir wollen kein Turnen auf Rezept Unterstützt wird diese Eigenverantwortungsideologie dadurch, dass die Bundesregierung die Hauptverantwortung für Prävention künftig fast ausschließlich auf die gesetzlichen Krankenkassen und ÄrztInnen übertragen will, die den Versicherten und PatientInnen eine Lebensstiländerung nahelegen sollen. Es ist richtig, dass die Krankenkassen in den letzten Jahren besonders im Bereich der Betrieblichen Gesundheitsförderung nennenswerte Erfolge erzielen konnten. Mit moderierten Gesundheitszirkeln konnten dadurch viele Unternehmen zu einer besseren Arbeitskultur, Organisation und im Umgang miteinander verholfen werden. Jedoch sollte die Verantwortung nicht auf den Kassen beschränkt bleiben. Wenn Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein soll, dann müssen auch alle nennenswerten Akteure, wie Leistungserbringer, Kostenträger, Kommunen und Landkreise, Bürgerinnen und Bürger etc. mit einbezogen werden – sowohl finanziell an als auch in der Umsetzung von Prävention. Doch auch das versäumt Schwarz-Rot. Der Gewinner beim Tauziehen um den größten Einfluss bei der Umsetzung von Prävention ist die Ärzteschaft. In Zukunft soll es Prävention auf Rezept geben. Die Kompetenzen von ÄrztInnen hinsichtlich Gesundheitsförderung sind jedoch beschränkt. Oder kann ein Arzt ein Rezept für familienfreundliche Arbeitszeiten im Büro oder abwechslungsreiches und gesundes Essen in der Schulpause ausstellen? Zudem beschäftigen sich Ärzte in ihrer Ausbildung und Beruf fast ausschließlich mit der Diagnose und Behandlung von Krankheiten Einzelner und weniger mit den Krankheitsursachen. Dieser schwarz-rote Ansatz spielt einzig und allein Ärzten Geld in die Kassen, ohne jedoch die Menschen zu erreichen, die tatsächliche Bedarfe haben. Zudem wird missachtet, dass auch andere Gesundheits- und Sozialberufe für Gesundheitsförderung relevant sind und durchaus bessere Zugangswege zu Benachteiligten haben. Nur gesetzlich Versicherte finanzieren Prävention Schwarz-Rot gibt der Verantwortung von Prävention an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ab. Eine Bundesbehörde soll nun im Auftrag der Krankenkassen bei der Entwicklung und Umsetzung von Prävention vor Ort aktiv mitwirken. Die BZgA ist aber weder regional noch lokal präsent. Wie soll sie die konkreten Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger kennen? Die finanzielle Zuwendung an die BZgA durch Mittel der GKV lehnen wir ebenfalls ab. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Dieser Verantwortung entzieht sich die Große Koalition durch diesen erneuten Griff in unser Krankenversicherungssystem. Gerechtigkeit und Teilhabe durch ein modernes Präventionsgesetz Ein richtiger Ansatz wäre gewesen, die Bürgerinnen und Bürger in ihren Alltagswelten aufzusuchen. Und zwar in der Kita, in den Schulen, in den Betrieben – vor allem auch in den Kleinunternehmen – und besonders im Stadtteil. Im Gegensatz zur Bundesregierung setzen wir Grüne bei der Ausrichtung der Prävention und Gesundheitsförderung auf Chancengerechtigkeit, Alltagsweltbezug, Partizipation, Langfristigkeit sowie die Einbeziehung der wesentlichen Akteure, einschließlich der Bürgerinnen und Bürger selbst. Wir wollen allen Menschen ermöglichen, das Wissen, die Kompetenz und die Gelegenheit zu haben, ein gesundes Leben zu führen. Das ist kein medizin-naturwissenschaftliches Projekt – sondern ein Projekt für mehr Gerechtigkeit. Unsere Umwelt ist unser Schmied Wenn wir die Gesundheit aller wirklich dauerhaft fördern wollen, müssen wir in langfristige Maßnahmen in der Kita, Schule, Betrieb und Stadtteil investieren und der oft Marketing-gesteuerten Projektitis von Krankenkassen ein Ende setzen. Am stärksten verwurzelt sind die Menschen nun mal in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld – in der Stadt, der Kommune, dem Quartier. In den Kommunen laufen die Fäden zusammen. Deshalb wollen wir, dass dort, wo die Menschen zusammen kommen und die meiste Zeit ihres Lebens verbringen, gesundheitsförderliche Angebote gebündelt und optimiert, die Zusammenarbeit der Akteure (Leistungserbringer, Kostenträger, Kommunen und Landkreise, Kammern, Jobcenter, Patientenvertretungen, Bürgerinnen und Bürger etc.) ermöglicht und nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Zusammenarbeit ist das Zauberwort für eine erfolgreiche Gesundheitsförderung vor Ort. Gemeinsam statt einsam – die Bürgerinnen und Bürger gestalten ihren Alltag selbst Gesundheitsförderung nach dem Alltagswelten-Ansatz ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Die Bewohnerinnen und Bewohner erlernen, ihre Bedürfnisse zu benennen, eigene Stärken zu erkennen und Einfluss auf die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse zu nehmen. Für uns ist dabei ein selbstgestaltetes Programm, welches mit allen Akteuren vor Ort mit Begeisterung gelebt wird, wichtiger als seine Perfektion. Bei der Umsetzung in der Kommune gilt es an Vorhandenes anzuknüpfen: Beispielsweise soll die Kooperation mit der Schulsozialarbeit bzw. der Kinder- und Jugendhilfe oder Programmen wie die „Soziale Stadt“ gestärkt werden. Somit wollen wir die Kommunen und Kreise in ihren Kompetenzen und ihrer Verantwortung aufwerten. Die fehlende Einbeziehung der Kommunen und ihrer Möglichkeiten vor Ort wiegen im vorliegenden Präventionsgesetz besonders schwer und kommen einer Entmündigung gleich. Zu ignorieren, dass vor Ort die Grundlagen für ein gesundes Aufwachsen und für ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter gelegt werden, ist nicht nachvollziehbar. Die Kommunen gestalten aber nun mal die Daseinsvorsorge und die Alltagswelten. Warten auf einen neuen Versuch Festzuhalten bleibt: Die Bundesregierung versäumt es, Gesundheitsförderung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen, zu organisieren und in den Alltagswelten der Bürgerinnen und Bürger dauerhaft zu verankern. Die Bundesregierung wird weder den Beschlüssen des Bundesrates noch den gesundheitspolitischen Möglichkeiten und Erfordernissen gerecht, die u.a. der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinen Gutachten verdeutlicht hat: Beispielsweise die Einbeziehung der Gesamtgesellschaft und aller Sozialversicherungsträger. Im Koalitionsvertrag noch groß angekündigt, versagt Schwarz-Rot bei der Umsetzung kläglich. Das Präventionsgesetz ist somit nichts weiter als ein Placebo. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes gerade von Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Lage unsere Hilfe am dringendsten benötigen, wird damit nicht erreicht. Wir werden weiter für ein Präventionsgesetz kämpfen, was den Namen verdient hat.