Zum Gruppenantrag zur künftigen Regelung der gruppennützigen Forschung an nicht Einwilligungsfähigen 9. September 2016 Es war richtig und wichtig, dass sich alle Fraktionen dazu entschlossen haben, für die geplante Abstimmung zur Frage, ob nichteinwilligungsfähige Erwachsene an Arzneimittelstudien teilnehmen sollen dürfen, den Fraktionszwang aufzuheben. Damit jede und jeder von uns nach bestem Wissen und Gewissen über diese höchst ethische Frage abstimmen kann, haben wir alle Abgeordneten des Bundestages zu einem internen Fachgespräch eingeladen, um – die Tragweite des Themas zu erfassen, – unentschlossenen Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren, – und auch unsere Bedenken an dieser Gesetzesänderung sowie an den beiden – aus meiner Sicht nicht wirklich weiterführenden – Änderungsanträgen aus der SPD-Fraktion aus verschiedenen Perspektiven zu erklären. Wir möchten damit einen weiteren Stein ins Rollen bringen, denn das Thema verdient einen fundierten Diskussionsprozess. Diesen hat es bisher nur völlig unzureichend gegeben. Die eindeutige Willensbekundung aller Fraktionen in der letzten Legislaturperiode wird nun grundsätzlich in Frage gestellt. Daher braucht es ein geordnetes parlamentarisches Verfahren und vor allem Zeit, um eine solche Grundsatzentscheidung treffen zu können. Unser Ziel ist es, auch in Zukunft das Schutzniveau für besonders vulnerable Patientengruppen auf hohem Standard zu erhalten – für Menschen, die nicht mehr die Tragweite ihrer Entscheidungen erfassen, in möglicherweise riskanten Forschungsvorhaben, von denen sie selbst keinerlei Vorteil haben. Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Es geht uns mit unserem Änderungsantrag hier NICHT um neue Verbote. Es geht uns um die Beibehaltung der jetzigen Rechtslage. Wir machen damit von der von Deutschland selbst angeregten Ermächtigung in der EU-Verordnung Gebrauch, die rein fremd- oder gruppennützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen weiterhin auszuschließen. Die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage steht somit auch im Einklang mit der EU-Verordnung. Wir wollen auch zukünftig nur dann Forschung an Nichteinwilligungsfähigen zulassen, wenn die Betroffenen einen individuellen Nutzen von ihrer Teilnahme haben. Dieser Vorschlag entspricht übrigens genau der Formulierung, die die Bundesregierung in ihrem Referentenentwurf ursprünglich vorgesehen hatte. Sie entspricht auch den Forderungen der Organisationen, die die Interessen dieser besonders schutzbedürftigen Menschen vertreten, d.h. Behindertenverbände, Patientenorganisationen, Mitglieder von Ethikkommissionen, Kirchen usw. Nach wie vor gibt es keine plausibel Begründung seitens der Befürworter der fremdnützigen Forschung, warum diese Änderung notwendig ist. Trotz mehrmaligen Nachhakens konnte die Bundesregierung uns nicht sagen, welche Forschung in den letzten Jahren aufgrund der geltenden Rechtslage nicht stattfinden konnte. Der Änderungsantrag von Herrn Lauterbach wie auch der Änderungsantrag von Frau Mattheis sind mitnichten Kompromisslösungen. Auch diese Änderungsanträge wollen fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen zulassen. Anders als sie es behaupten, können beide Änderungsanträge weder die Sicherheit noch die Selbstbestimmung der betroffenen Patienten und Patientinnen sicherstellen. Im Gegenteil: Sie machen die Tür auf, dass zukünftig weitere Hürden abgebaut werden. Sowohl die Patientenverfügung als auch die neugeschaffene Probandenerklärung als Grundlage für eine spätere Teilnahme an einer zukünftigen Studie sind keine geeigneten Instrumente. Zum Zeitpunkt der Erklärung wissen die Betroffenen noch gar nicht, worauf sie sich einlassen. Wir alle kennen die Probleme mit Patientenverfügungen, die schon heute in der Praxis bestehen. Bei Klinischen Studien ist diese Unsicherheit noch verschärft. Die Betroffenen wissen u.U. vorab gar nicht, welches Krankheitsbild erforscht werden soll. Sie wissen nicht, welche Substanzen ihnen dafür verabreicht werden sollen und was bisher über die Risiken und Nebenwirkungen dieser Substanzen bekannt ist. Und auch nicht, welche möglicherweise riskanten Untersuchungen an ihnen durchgeführt werden, um den Studienerfolg zu kontrollieren. Handelt es sich dabei nur um harmlose Blutabnahmen oder beispielsweise auch um eine Hirnwasser-Punktion über das Rückenmark? Sie sehen, eine solche Vorabverfügung, wie sie bei Lauterbach und Mattheis vorgesehen ist, hat in der Praxis sehr wenig mit Selbstbestimmung zu tun, sondern ist eher vergleichbar mit einer Blanko-Unterschrift. Da hilft auch die verpflichtende ärztliche Aufklärung nichts. Denn zum Zeitpunkt der Aufklärung eines zukünftigen Probanden wissen auch die Ärzte nicht mehr über eine eventuell noch nicht einmal konzipierte Studie in der Zukunft, nichts über Risiken und Nebenwirkungen usw. Die ärztliche Aufklärung entspricht somit auch nicht den Anforderungen, die vor medizinischen Eingriffen sonst an eine wirksame Aufklärung gestellt werden. Der Sicherheitsgewinn ist – anders als von den Antragstellern – und Stellerinnen behauptet – für die Betroffenen gering. Es zeigt sich: Der Bundestag tut gut daran, ausführlich über die Frage der fremdnützigen Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen zu diskutieren. Dafür braucht es eine ernsthafte Anhörung und keine Änderungen im Schnelldurchgang. Zum jetzigen Zeitpunkt stellt einzig und allein unser fraktionsübergreifender Änderungsantrag sicher, dass die hohen, bewährten Schutzstandards, die es in Deutschland für Studien an Nichteinwilligungsfähigen bewahrt bleiben.