PrEP kann nur eine Ergänzung zum Kondom sein 22. August 2016 Erschienen in: Tagesspiegel (Online, 22.08.16) Die PrEP-Therapie verspricht große Erfolge im Kampf gegen HIV. Sie kann das Kondom aber nicht ersetzen, da sie nicht vor anderen Krankheiten schützt. Trotzdem muss der Staat ihre Verabreichung bei Risikogruppen unterstützen. Die „Prä-Expositions-Prophylaxe“, PrEP, als präventiv verabreichtes Mittel zum Schutz vor HIV Infektionen steht inzwischen kurz vor der Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). In San Francisco zum Beispiel, wo PrEP bereits ein fester Bestandteil des Aktionsplans gegen HIV und AIDS ist, werden inzwischen drastische Rückgänge der Neuinfektionen vermeldet. Dabei ist Truvada®, das Mittel hinter PrEP, kein neues Medikament, sondern schon seit 2005 als Teil von Kombinationstherapien zur HIV-Bekämpfung durch die EMA zugelassen und das derzeit meistverschriebene HIV-Medikament Europas. Für die Verwendung zur Prävention bedarf es jedoch einer neuen Zulassung, die in den USA bereits 2012 erfolgte. Inzwischen fordern auch die WHO und UNAIDS die Aufnahme in die weltweite Strategie zur Bekämpfung von HIV/ AIDS mit dem Ziel, die Infektionskrankheit bis 2030 zu beenden. Eine baldige Zulassung durch die EMA ist somit höchst begrüßenswert. Auch bisherige haftungsrechtliche Risiken durch Verordnungen auf Selbstzahler-Basis für behandelnde Ärzte und Patienten werden durch eine Zulassung ausgeräumt. PrEP könnte die Zahl der Neuinfektionen auch in Deutschland reduzieren. Im Jahr 2014 lag diese laut dem Robert-Koch-Institut bei 3525 Menschen. Insbesondere zur Anwendung bei Risikogruppen könnte PrEP ein ergänzendes Mittel der klassischen Präventionsmaßnahmen, der Aufklärung und Beratung sowie Kondomnutzung, darstellen. Zu den Risikogruppen gehören vor allem Männer, die Sex mit Männern haben. Dies gilt aber ebenso für andere durch Geschlechtsverkehr übertragbare Krankheiten, wie Syphilis und Hepatitis. PrEP, das nur vor HIV wirksam schützt und zu ungeschützten Geschlechtsverkehr verleiten könnte, darf also nur als Ergänzung der weiterhin nicht zu ersetzenden Präventionsmaßnahmen, insbesondere der Kondomnutzung, verstanden werden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Verfügbarkeit und des Zugangs zu PrEP in Deutschland und anhängend eine mögliche Kostenübernahme durch die Krankenkassen an eine Reihe von Gesichtspunkten geknüpft. Die dauerhafte Einnahme eines Medikaments als Präventivmaßnahme kann nur für Menschen mit hohem Infektionsrisiko sinnvoll sein. Eine Verabreichung bedarf zudem einer umfänglichen medizinischen Begleitung, nach Möglichkeit von entsprechend qualifizierten und geschulten Ärzten und Ärztinnen in Schwerpunkt-Praxen. Dies ist unerlässlich zur Beobachtung und Kontrolle von Nebenwirkungen und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Von besonderer Bedeutung ist jedoch die Gefahr von Resistenzbildungen. Letztere können erheblichen negativen Einfluss auf die Therapie von AIDS haben, da in deren Rahmen Truvada in der Regel schließlich auch als Bestandteil der Kombinationsmedikation verabreicht wird. Daran anschließend stellt sich auch die Frage der Verordnungsfähigkeit zu Lasten des gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Die Kosten einer PrEP-Dauermedikation betragen heute mehr als 800 Euro pro Monat. Ein Preis, der bei einer vielfältigen Anwendung seitens des Herstellers nicht mehr zu rechtfertigen wäre. Doch ist zur Prävention nach wie vor die geeignetere und wirtschaftlichere Maßnahme, die Kondomnutzung, vorzuziehen. Diese kostengünstigere Alternative wird, wie auch andere Mittel der Prävention, gewöhnlich nicht von den Kassen übernommen. Auch sind Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, per Gesetz ohnehin von der Erstattung durch die GKV ausgeschlossen. Eine Verordnung von PrEP zu Lasten der Kassen ist in Deutschland daher vorerst nur für besondere Einzelbedarfe, etwa bei medizinischer Indikation wie einer Latex-Allergie oder in Partnerschaften mit einem HIV-positiven Partner, zu prüfen. Zukünftig sollte die Wirkung der PrEP modellhaft in einer deutschen Implementierungsstudie in Kooperation mit der Deutschen AIDS-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erprobt werden. Bei einer in Abwägung aller genannten Gesichtspunkte positiven Implementierung und einer gleichzeitigen verhältnismäßigeren Preisgestaltung des Herstellers könnte dann eine Aufnahme der PrEP als Präventionsmaßnahme in die Versorgung von besonderen Risikogruppen in Betracht gezogen werden. Jedoch bietet Deutschland auch ohne PrEP eine bereits gute Gesundheitsversorgung im Bereich HIV und AIDS. Vor allem die seit Jahren umfassenden Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung und für spezielle Risikogruppen, die frühe Diagnostik sowie die sofortige und wirksame Behandlung aller HIV-infizierten Menschen sorgen für geringe Neuinfektionsraten. In unserem funktionierenden Gesundheitssystem sind die Behandlungsmöglichkeiten, die allen sich in Deutschland befindenden Menschen – auch zu uns Geflüchteten – zugänglich sein müssen, bereits ein wichtiger Baustein in der Bekämpfung der Epidemie. Weltweit aber zeichnet sich leider ein anderes Bild. Von den 36,7 Millionen Menschen mit HIV oder AIDS haben nur 17 Millionen Zugang zu der überlebenswichtigen Therapie, die auch das Übertragungsrisiko senkt. Die Zahlen der Neuinfektionen weltweit sind seit 2010 nicht mehr gesunken; auch in Osteuropa und Zentralasien sind die Zahlen alarmierend. In Ländern West- und Zentralafrikas hat bisher nur jeder vierte Zugang zu antiretroviralen Medikamenten. AIDS ist hier weiterhin die Haupttodesursache und ein wesentliches Entwicklungshemmnis. Unter diesen Bedingungen ist ein Mittel, das die Ausbreitung der noch immer katastrophalen Epidemie wirksam stoppen kann, ein wichtiger Baustein der Präventionsarbeit. An dieser Stelle ist auch der Hersteller GINEAD gefragt, das Mittel in Hochprävalenzregionen kostenlos oder sehr günstig zur Verfügung zu stellen. Für die deutsche Entwicklungspolitik heißt das, auch den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme zu unterstützen, die Voraussetzung für Aufklärung, frühe Diagnose und sofortige Behandlung sind.