Eine Impfpflicht steigert die Impfraten nicht 23. Februar 2017 Erschienen in: Tagesspiegel Causa (23.02.2017) Impfungen sind ein Beitrag zur Solidargemeinschaft. Trotzdem sollte jeder selbst entscheiden können, ob er sich impfen lässt. Eine Pflicht würde lediglich den bürokratischen Aufwand erhöhen. Dafür sollte besser aufgeklärt werden. Die neusten Masernfälle in Berlin und einigen anderen Regionen entfachen eine erneute Diskussion über eine gesetzliche Impfpflicht. Impfungen können maßgeblich zum Infektionsschutz beitragen. Sie sind auch ein wichtiger individueller Beitrag zur Solidargemeinschaft, denn manche Kinder und Erwachsene können aufgrund von Vorerkrankungen wichtige Impfungen nicht erhalten. Je mehr Menschen in ihrer Umgebung geimpft sind, umso geringer ist bei ihnen die Gefahr einer Infektion (sogenannter Herdenschutz). Weil Impfungen aber nicht nur Schutz, sondern auch Risiko bedeuten können – mögliche Impfschäden dürfen nicht klein geredet werden – ist für mich eine freie, selbstbestimmte Impfentscheidung nach bestmöglicher Information von immenser Bedeutung. Ich setze mich für steigende Impfquoten ein – aus freier Überzeugung und nicht durch Zwang. Außerdem ist eine Impfpflicht auch verfassungsrechtlich bedenklich. Die Menschen, die gegenüber Impfungen skeptisch sind, wird man nicht mit einer Androhung von Zwang oder Sanktionen vom Nutzen der Impfungen überzeugen können. Eine Impfpflicht würde nicht die Impfraten, sondern den bürokratischen Aufwand in Deutschland steigern. Was wir brauchen, ist eine umfassende Strategie, die aus verbesserter Aufklärung, erweiterter Impfberatung, besserem Fachwissen bei medizinischem Fachpersonal sowie mehr Impfangeboten gerade auch für Erwachsene und Geflüchtete besteht. Jeder Kontakt zum Gesundheitssystem, wie etwa zu Kinderärzten im Rahmen der U-Untersuchungen oder zu Haus- und Betriebsärzten sowie Apotheken, könnte genutzt werden, um den Impfschutz abzufragen und notwendige Schutzimpfungen nachzuholen. Zu einer glaubwürdigen, ergebnisoffenen ärztlichen Aufklärung gehört aber auch die Unabhängigkeit von finanziellen Anreizen. Für jede Impfung muss glaubhaft und transparent gemacht werden, dass ihr Einsatz der Gesundheit der Menschen und nicht zum Beispiel wirtschaftlichen Interessen dient. Es ist also mehr Transparenz hinsichtlich der Impfziele und des Zustandekommens der Impfempfehlungen durch die Ständige Impfkommission (STIKO) notwendig. Auch der Öffentliche Gesundheitsdienst sollte meiner Meinung nach gestärkt werden, um mit mehr Personal niedrigschwelliger über das Thema informieren und impfen zu können. Statistisch gesehen ist Deutschland ein Land der Impfbefürworter. In der Bevölkerung gibt es eine hohe Akzeptanz für Impfungen und ein grundsätzliches Vertrauen in die Empfehlungen, die von Ärztinnen, Ärzten und der Ständigen Impfkommission ausgesprochen werden. Beispielsweise ist die Impfquote für die erste Masernimpfung bei einzuschulenden Kindern zwischen 2000 und 2013 von 91 auf 96,7 Prozent gestiegen. Für die zweite Masernimpfung werden inzwischen bundesweit 92,4 Prozent erreicht. Im Jahr 2004 waren es gerade einmal 65,7 Prozent für die zweite Impfdosis! Das heißt, die Bereitschaft, die Kinder zu impfen, hat deutlich zugenommen. Hier fehlt oft einfach nur die Erinnerung an die zweite Impfung. Wir wissen allerdings, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene oft Impflücken aufweisen. Das liegt aber nicht daran, dass sie Impfungen ablehnen, sondern sie schlichtweg vergessen. Und gegen das Vergessen hilft regelmäßige Information und leichter Zugang zur Impfung.