Zweite und dritte Lesung des Präventionsgesetz (PrävG)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche das Wort.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe vor kurzem eine alleinerziehende Mutter kennengelernt, die sehr glücklich und dankbar war, weil sie gerade einen Job bekommen und ihr fünfjähriger Sohn Jakob einen Kindergartenplatz erhalten hatte. Aber dann hörte das Glück schon auf; denn sie arbeitete in einem Callcenter im Zweischichtdienst und ist nach der Arbeit oft sehr erschöpft. Jakob bekommt zwar im Kindergarten ein warmes Essen, das wird aber tiefgekühlt geliefert und dann dort aufgewärmt. Die beiden wohnen in einem Mehrfamilienhaus an einer stark befahrenen Ausfallstraße. Jakob leidet häufig unter Husten. Im Hof verkümmert ein Klettergerüst.

Jakob steht für mich exemplarisch für rund 2 Millionen Kinder in Deutschland, die aufgrund ihrer Lebensbedingungen schlechte Gesundheitschancen haben, von Anfang an und ein Leben lang. Soziale Benachteiligung bewirkt gesundheitliche Risiken – und umgekehrt. Wer häufiger krank ist, hat weniger Chancen in der Schule und im Beruf, hat weniger Chancen auf gesunde Lebensjahre und hat eine geringere Lebenserwartung.

Herr Lauterbach, wir müssen uns fragen, ob das Gesetz, das Sie hier vorlegen, tatsächlich keines dieser Kinder zurücklässt. Ich zweifle daran sehr stark. Gerade weil der Zusammenhang zwischen sozialer Situation und Gesundheitsrisiken so evident und auch wissenschaftlich belegt ist, helfen keine Appelle, sich gesund zu ernähren, oder Sportkurse, wie es das schwarz-rote Präventionsgesetz leider immer noch vorrangig vorsieht. Unsere Umwelt, unser Alltag ist unserer Gesundheit Schmied; dies hat diese Bundesregierung leider immer noch nicht ausreichend verstanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aus grüner Sicht ist überfällig: Erstens. Der Schwerpunkt der Prävention muss auf gesundheitsfördernden Alltagswelten liegen, und zwar faktisch und nicht nur verbal, wie das hier von der SPD auch immer wieder vertreten wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Schwarz-Rot verharrt in der Logik: Du bist Schuld, also musst du etwas ändern. Das ist eine Zeigefingerpolitik, die wirklich ihresgleichen sucht. Da hilft es auch nicht, wenn die Bundesregierung, was tatsächlich stimmt, viel mehr Geld für Prävention ausgeben will, genau genommen Geld der Versicherten. Individuelle, zeitlich begrenzte Kursangebote führen nicht zu besserer Gesundheit; das ist wissenschaftlich bewiesen. Sie dienen den Krankenkassen oft nur zum Werben um neue Versicherte, vor allem um Versicherte aus der Mittelschicht, aber nicht aus den betroffenen Gruppen, über die ich gerade geredet habe. Deswegen ist das Leitbild von uns Grünen: Wir wollen, dass alle das Wissen und die Fähigkeiten erwerben, um, wenn sie möchten, gesund zu leben. Sie sollten aber vor allem auch die Möglichkeit und die Gelegenheit haben, gesund zu leben. Das ist die Aufgabe eines Präventionsgesetzes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Gelegenheiten müssen in den Alltagswelten vorhanden sein. Das beginnt bei gesunder Ernährung, Bewegung und Spiel im Kindergarten. Es setzt sich fort in Schulen, wo gesunde Kinder leichter lernen und gesunde Lehrer leichter lehren. Von Betrieben mit Gesundheitsmanagement bis hin zu Stadtteilen mit Angeboten zur Prävention von Pflegebedürftigkeit, das alles leistet einen großen Beitrag. Für die moderne Stadtplanung und Stadtentwicklung ist es selbstverständlich, dass Umweltbelastungen reduziert werden müssen. Das gelingt überall dort, wo die Bewohner – gerade auch ältere Bewohner – einbezogen werden. Meine Damen und Herren, der Stadtteil als Alltagswelt gerade vieler älterer Menschen wird in diesem schwarz-roten Gesetz nicht einmal erwähnt.

(Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aus grüner Sicht ist überfällig: Zweitens. Die Kommunen sind der Dreh- und Angelpunkt gelingender Gesundheitsförderung vor Ort. Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs hat Frau Kühn-Mengel die Hoffnung geweckt, dass tatsächlich die Kommunen als bedeutende Akteure vor Ort in diesem Gesetz eine wichtige Rolle spielen werden. Leider zeigt sich – trotz der Anhörung –, dass das nicht der Fall sein wird. Wir sind davon überzeugt: In den Kommunen laufen die Fäden zusammen, dort findet die Vernetzung statt, dort werden Ideen und Konzepte gemeinsam mit den Menschen, die dort leben, entwickelt und auch umgesetzt. Keine Ärztin und kein Arzt, keine Krankenkasse, keine Politikerin und kein Politiker weiß, wie in einer Kita, einer Schule, einem Betrieb, einem Stadtteil Gesundheitsförderung am besten gestaltet und gelebt werden kann – das wissen am besten die Menschen vor Ort. Deshalb ist uns die Beteiligung aller so wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Man kann dabei an Vorhandenes anknüpfen, zum Beispiel an die Schulsozialarbeit oder an das Programm „Soziale Stadt“ im Rahmen der Wohnungsbauförderung. Das geht aber alles nicht ohne die Mitwirkung der Kommunen. Stattdessen ist das schwarz-rote Präventionsgesetz ein Flickenteppich verschiedenster Lobbyinteressen geworden. Hauptverantwortlich bleiben die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und die Ärzteschaft.

Meine Damen und Herren, besonders dramatisch ist, dass Sie ein weiteres Mal die gesetzlich Versicherten sowohl der Kranken- als auch der Pflegekassen dazu heranziehen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu finanzieren. Private Kranken- und Pflegekassen bleiben außen vor. Wir haben auch noch – das ist schon erwähnt worden – die Finanzierung einer Bundesbehörde aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Schulz-Asche, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Rückblickend muss man sagen, dass die WHO schon seit 30 Jahren die Forderung nach besserer Prävention aufstellt. Ich möchte mit den Worten schließen, die Professor Rosenbrock in der Anhörung zu diesem Gesetz gesprochen hat. Er hat gesagt – dem schließe ich mich voll an –: Ich vertraue auf einen neuen Anlauf, auf ein echtes Präventionsgesetz. – Dieses ist es nicht. Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)