Medizinprodukte-Verordnung


Mit welcher Begründung hat Deutschland als einziges Land der Europäischen Union im Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) am 19. Mai 2015 der teilweisen allgemeinen Ausrichtung zur Medizinprodukte-Verordnung seine Zustimmung verweigert, und welche Rolle spielten dabei von den anderen Ländern geforderte zusätzliche Prüfverfahren für Medizinprodukte der Risikoklasse III?

Antwort der Parlamentarische Staatssekretärin für Gesundheit, Ingrid Fischbach, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:

Liebe Kollegin, ich antworte Ihnen gerne auf die Frage – wir haben ja heute auch schon im Ausschuss in¬tensiv darüber gesprochen –: Deutschland setzt sich da¬für ein, dass nur sichere und medizinisch hochwertige Medizinprodukte auf den europäischen Markt gelangen, und wir haben den Anspruch, mit der Verordnung einen stabilen, transparenten und nachhaltigen Rechtsrahmen zu schaffen. Darauf aufbauend hat Deutschland der all¬gemeinen Ausrichtung auf der Grundlage des Kompro¬missvorschlags der lettischen Präsidentschaft nicht zuge¬stimmt, weil der Text noch eine Reihe von Vorschriften enthält, die wichtige Fragen hinsichtlich ihrer Auswir¬kungen auf die Patientensicherheit, Versorgungssicher¬heit, Praktikabilität und Finanzierbarkeit offenlassen. Diese Fragen hätten nach Auffassung der Bundesregie¬rung vor Aufnahme der Trilogverhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission geklärt werden müssen. An erster Stelle ist hier die fehlende Infrastruktur für die Schaffung produktspezifischer Anforderungen an die klinische Bewertung und Prüfung von Medizinproduk¬ten zu nennen, die ein Kernanliegen der deutschen Posi¬tion darstellen. Obwohl die Vorschläge im Grundsatz den Gedanken, dass produktspezifische Anforderungen geschaffen werden müssen, enthalten, sind die Verant¬wortlichkeit und der Zeitrahmen für deren Erarbeitung nicht eindeutig festgelegt. Zudem wird uns die notwen¬dige wissenschaftliche Expertise dafür fehlen, wenn diese durch die Bewertungen im sogenannten Scrutiny-Verfahren gebunden ist. Schließlich müssen Versor-gungsengpässe aufgrund zu kurzer oder fehlender Über¬gangs- und Bestandsschutzregelungen befürchtet wer¬den. Daneben enthalten die Texte sehr viele Mängel, die nur scheinbar technischer Natur sind und die in der Pra¬xis zum Teil zu abwegigen Ergebnissen führen können. Auch wenn Deutschland den im EPSCO vorgelegten Verordnungsentwürfen nicht zustimmen konnte, werden wir uns natürlich aktiv in den jetzigen Prozess und in das informelle Trilogverfahren einbringen, um die Texte im Interesse der Patientensicherheit zu optimieren. In den Sitzungen des Ausschusses für Gesundheit des Deut¬schen Bundestages am 10. Juni und am 1. Juli dieses Jahres habe ich die Position der Bundesregierung aus¬führlich dargelegt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Frau Schulz-Asche.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN):

Frau Staatssekretärin Fischbach, herzlichen Dank. – Diese Antwort war ja praktisch identisch mit der, die Sie heute Morgen im Gesundheitsausschuss gegeben haben. Ich habe allerdings gefragt, warum Deutschland das ein¬zige Land war, das der Einigung im Rat für Beschäfti¬gung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz nicht zugestimmt hat. Sie erwecken immer den Eindruck, dass Deutschland weitergehen wolle, dass die EU-Verordnung nach Ihrer Meinung nicht weit genug gehe und Sie zusätzliche For¬derungen hätten. In Wirklichkeit ist ja das Gegenteil der Fall. Rufen wir uns einmal in Erinnerung, warum wir überhaupt über eine Verschärfung bei der Zulassung von Medizinprodukten diskutieren: wegen internationaler Skandale im Zusammenhang mit Brustimplantaten usw. usf. Von daher frage ich Sie ganz konkret, wie ich es auch schon schriftlich gemacht habe, was die Haltung Deutschlands zu den zusätzlichen Prüfverfahren ist, die auch vom Europaparlament gefordert wurden, und was es nach Ihrer Meinung mit Patientensicherheit zu tun hat, wenn Deutschland lange Bestandsschutz- und Über-gangsregelungen fordert. Ist das Patientenschutz, oder ist das nicht eher ein Schutz der Produkte bestimmter Un-ternehmen in Deutschland? Das würde mich interessie¬ren. Könnten Sie mir das bitte erläutern?

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Parlamentarische Staatssekretärin.

Ingrid Fischbach, Parl. Staatssekretärin beim Bun¬desminister für Gesundheit:

Frau Kollegin, das mache ich sehr gern. Ich habe es heute Morgen im Ausschuss schon gesagt: Die von uns geforderten Regelungen betreffen nicht die risikobehaf¬teten Medizinprodukte. Wir reden jetzt auch über Medi-zinprodukte, die schon lange angewandt werden und nicht risikobehaftet sind. Sie würden auch unter die Re-gelung der jetzigen Vorlage fallen; das war der Grund für unseren Einwand. Wenn es keine vernünftige Übergangsregelung gibt, könnte es passieren, dass wir diese Medizinprodukte Pa-tienten, die sie brauchen, in Zukunft nicht mehr zur Ver fügung stellen können. Es könnte sein, dass es zu einem Lieferengpass kommt bzw. dass die Medizinprodukte di¬rekt vom Markt genommen werden. Das ist, wie ich glaube, nicht im Sinne der Patienten. Sie haben an dieser Stelle – das haben wir in den Be¬ratungen deutlich gemacht – hinsichtlich der hoch risiko-behafteten Medizinprodukte unsere volle Unterstüt¬zung. Die müssen sofort vom Markt; das ist gar keine Frage. Aber hier geht es um eine generelle Bestimmung.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Schulz-Asche.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielleicht reden wir aneinander vorbei. Sowohl in der schriftlichen Version meiner Frage als auch in meiner Nachfrage eben rede ich vor allem von Medizinproduk¬ten der Risikoklasse III. Sie bergen ein hohes Risiko bei der Anwendung. Das ist auch der Grund, warum wir überhaupt über eine entsprechende Verschärfung disku-tieren. Ich würde gerne einen anderen Punkt aufgreifen. Das Europäische Parlament hat sich ja aufgrund der Skandale sehr ausführlich mit diesem Thema befasst und unter an¬derem eine verbindliche Produkthaftpflichtversicherung in ausreichender Höhe gefordert. Beim Skandal um die Brustimplantate war es so, dass die betroffenen Frauen am Ende mit leeren Händen dastanden, weil der Unter¬nehmer, der diese Produkte in verbrecherischer Weise in Umlauf gebracht hatte, insolvent war und daher nicht mehr zahlen konnte. Am Ende waren die betroffenen Frauen die Opfer. Deswegen frage ich Sie: Warum hat Deutschland die Initiative des Europäischen Parlaments, nämlich die Produkthaftpflicht verbindlich zu regeln, nicht unterstützt, und warum ist der Rat insgesamt nur der Meinung, man könne die Unternehmen zwar auffor¬dern, aber man müsse sie nicht verpflichten?

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Staatssekretärin.

Ingrid Fischbach, Parl. Staatssekretärin beim Bun¬desminister für Gesundheit:

 Frau Kollegin, auch der Vorschlag der Präsidentschaft sah keine konkrete und speziell für Medizinprodukte re¬levante Einführung einer Produkthaftpflichtversicherung oder Deckungsvorsorge vor. Dem haben wir uns ange¬schlossen. Wir werden jetzt, da wir in die Trilogverhand¬lungen einsteigen, die Verhandlungen im Europäischen Parlament abwarten.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Kollege Terpe eine Nach¬frage. Bitte schön.

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Staatssekretärin Fischbach, Sie hatten in Ihrer Antwort erwähnt, dass die Bundesregierung im EPSCO-Rat auch deswegen Bedenken hatte und auf Übergangs¬regelungen gepocht hatte, weil die technischen Voraus-setzungen für Sicherheitstests und die Infrastruktur für klinische Studien fehlten. Meine erste Frage lautet: Was unternimmt die Bundesregierung, um in Deutschland die dafür notwendige Infrastruktur sicherzustellen? Meine zweite Frage lautet: Was unternimmt die Bundesregie¬rung, um auch in Europa die entsprechende Infrastruktur sicherzustellen? Wir können ja nicht sagen: Das wird al¬les in Deutschland gemacht. Auch die anderen europäi-schen Partner sind ja beteiligt.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön.

Ingrid Fischbach, Parl. Staatssekretärin beim Bun¬desminister für Gesundheit:

Wir werden unsere Vorschläge zuerst einmal auf na¬tionaler Ebene diskutieren und voranbringen. Aber wir werden nicht müde werden, unsere Forderungen und, wie ich finde, berechtigten Ansprüche weiterhin auf eu-ropäischer Ebene zu thematisieren. Allerdings braucht man auch auf europäischer Ebene Mehrheiten. Solange wir die Möglichkeit haben, andere Mehrheiten zu be¬schaffen, werden wir uns entsprechend dafür einsetzen.