Patientensicherheit bei Medizinprodukten 17. Dezember 201521. März 2021 Zum Plenarprotokoll 18/146 Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht mit dem Thema Verbraucherschutz gleich weiter, diesmal im Gesundheitswesen. Wir mussten in den letzten Jahren immer wieder erleben, dass Skandale die Öffentlichkeit erschütterten. Sicherlich einer der auffälligsten Skandale in diesem Zusammenhang waren die minderwertigen, gesundheitsschädlichen Brustimplantate eines französischen Herstellers. Obwohl diese Produkte vom TÜV Süd geprüft worden waren, wurden sie Frauen eingesetzt. Als die Schäden sichtbar wurden, mussten die Brustimplantate ausgetauscht werden. Die geschädigten Frauen gingen nach den Klageverfahren am Ende leer aus, weil der Hersteller insolvent ging. Immer wieder gibt es Medizinprodukte, die den Patienten eingesetzt werden – zum Beispiel getrübte Linsen; ich könnte die Liste beliebig lang fortführen –, oder Produkte der Hochrisikoklassen, bei denen sich am Ende herausstellt, dass sie von den Stellen, die sie zu prüfen haben, nicht als entsprechend gefährlich erkannt wurden. Aktuell gibt es wieder ein Beispiel: Augentropfen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie in Spanien und Frankreich zu Erblindungen geführt haben. Das Produkt musste vom Markt zurückgezogen werden. Das heißt, meine Damen und Herren, wir haben einiges zu tun. Wir können nicht einfach auf den nächsten Skandal warten, sondern wir müssen die Zulassung von Medizinprodukten endlich so regeln, dass die Qualitätsstandards erfüllt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Thema ist eigentlich nicht neu. Wir hatten bereits in der letzten Legislaturperiode dazu einen Antrag gestellt. Es gab auch eine Initiative von Ärzten im EU-Parlament, um den Verbraucherschutz bei den Medizinprodukten endlich zu verbessern, insbesondere was Implantate und Produkte der Hochrisikoklassen angeht. Wir hätten uns sehr viel mehr vorstellen können; aber derzeit ist es so, dass eine bereits abgeschwächte Forderung des Parlaments sich in Trilogverhandlungen – Europäischer Rat, Europäische Kommission und EU-Parlament – befindet. Deutschland – das muss man hier ganz deutlich sagen –, in dem Fall die Bundesregierung, spielt dabei keine rühmliche Rolle; man kann sogar sagen: eine unrühmliche Rolle. Wirtschaftsinteressen – auch in den Wahlkreisen einiger besonderer Abgeordneter dieses Hauses – (Tino Sorge [CDU/CSU]: Geht es auch ein bisschen sachlicher, Frau Kollegin?) dürfen nicht das alleinige Kriterium bei der Zulassung von Medizinprodukten, bei der Bewertung von Medizinprodukten und vor allem in Zulassungs- und Studienverfahren sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sage ich: Hier ist das Verhalten der Bundesregierung bisher wirklich unrühmlich. Alle Versuche, Verbraucherschutzregelungen zu hemmen und zu erschweren, haben die Gefahr erhöht, dass in diesem Trilogverfahren der Verbraucherschutz auf der Strecke bleibt. Wir Grünen hätten uns durchaus schärfere Zulassungsregeln für die Medizinprodukte gewünscht, im Prinzipanalog zur Zulassung von Medikamenten. Da haben wir auch gute Vorbilder, zum Beispiel aus den USA. Dort werden Medizinprodukte ähnlich zugelassen, wie es bei Medikamenten der Fall ist. Man fragt sich, warum es in Europa und in Deutschland so schwer ist, entsprechende klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren umzusetzen. Das liegt nur daran, dass Wirtschaftsinteressen vor den Verbraucherschutz gestellt werden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Uns geht es mit unserem Antrag darum, den Verbraucherschutz im Trilogverfahren zu retten. Ich halte das Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Patientinnen und Patienten in Deutschland, aber auch in Europa für unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Deswegen ist die Frage – darauf zielt auch unser Antrag ab –: Was ist jetzt in dem Trilogverfahren im EU-Parlament zu tun? Meiner Meinung nach ist es unbedingt notwendig, dass eine Produkthaftpflichtversicherung der Hersteller eingeführt wird. Denn wir können doch nicht zulassen, meine Damen und Herren, dass, wenn Patienten durch Produkte geschädigt werden, sie am Ende nicht nur Opfer aufgrund der Schädigung durch das Produkt sind, sondern zudem ohne jede Hilfe dastehen, also erneut zu Opfern werden. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen zweitens endlich „Besondere Benannte Stellen“, das heißt Zulassungsstellen, Bewertungsstellen, die tatsächlich in der Lage sind, eine qualitative Bewertung vorzunehmen. Es kann doch nicht sein, dass ein TÜV Toaster zulässt und sich gleichzeitig, mit ein bisschen zusätzlicher Expertise, um die Zulassung von Medizinprodukten kümmert. Nein, wir brauchen europaweit „Besondere Benannte Stellen“, die für bestimmte Produktklassen spezialisiert sind, damit die Zulassung tatsächlich qualifiziert erfolgen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir brauchen drittens mehr Transparenz. Diese brauchen wir übrigens auch im Arzneimittelbereich. Wir brauchen die Erfassung und die Veröffentlichung von allen klinischen Studien. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Wenn ich vielleicht gerade noch diesen Punkt abschließen kann. – Wir brauchen die Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Produkts, der Sicherheit eines Produkts und der Wirksamkeit eines Produkts, und zwar aller Produkte, die im Körper verbleiben oder von vornherein mit einem besonderen Risiko verbunden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Tino Sorge (CDU/CSU): Frau Kollegin Schulz-Asche, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer. Tino Sorge (CDU/CSU): Mich würde ganz konkret interessieren: Sie haben gerade angesprochen, dass wir eine Produkthaftpflichtversicherung für Hersteller brauchen. Ist Ihnen bekannt, dass Produkthaftpflichtversicherungen in der Regel gerade bei vorsätzlichen kriminellen Handlungen, wie sie in den Beispielen, die Sie hier ansprachen, der Fall waren, nicht gelten? Wie wollen Sie das dann regeln? Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich sehe es auch so, dass diese bei kriminellen Handlungen nicht greifen. Aber beim Problem mit den Augentropfen, über das ich gerade gesprochen habe, hoffe ich, dass es sich nicht um kriminelle Machenschaften handelt, sondern tatsächlich um die Gesundheitsschädigung durch ein ganz normales Produkt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Viele, viele andere Produkte, keine kriminellen Handlungen!) In diesem Fall möchte ich schon wissen, wie die Patienten, die jetzt in Frankreich und in Spanien erblindet sind, dann auch tatsächlich abgesichert sind. Sie haben recht: Es gibt die Besonderheit der kriminellen Fälle. Das ist immer schwer. Da muss man über den Opferschutz gehen. Aber in den meisten Fällen, über die ich hier rede, handelt es sich um ganz normale, zugelassene Produkte, und deswegen fordern wir dort die Produkthaftpflichtversicherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Wir verfolgen mit unserem Antrag das Ziel, dass es endlich eine echte frühe Nutzenbewertung und eine Langzeitbewertung von Medizinprodukten gibt. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen Rückgang dieser Skandale gibt, und wir brauchen einen wirksamen Schutz für Patienten, und zwar im Interesse der Patienten und nicht der Wirtschaft. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])